Pension statt Bafög für Ortleb

■ Mit Rainer Ortleb räumte gestern Minister Nummer 21 den Sessel im Kabinett Kohl

Bonn (dpa/taz) – Drei Jahre lang stellte er sich der „erdrückenden Last“ (Die Zeit), dann konnte er dem vereinten Bildungswesen nichts mehr entgegensetzen. Rainer Ortleb, FDP-Bundesbildungsminister, ist gestern zurückgetreten. Seine Partei nannte „gesundheitliche Gründe“. Vergangenen November hatte sich der 49jährige wegen eines Kreislaufzusammenbruchs für mehrere Wochen von der politischen Bühne verabschiedet. Bei seiner Rückkehr gestand er ein, „Fehler gemacht zu haben“. Er habe nicht gewußt, wie hart das „Bonner Geschäft“ sei. Zugleich mit seinem Kabinettsposten gab Ortleb auch den Vorsitz der FDP Mecklenburg-Vorpommern auf.

Noch in dieser Woche war Ortleb wegen seiner Bafög-Pläne ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Auf Vorschlag des Bildungsministeriums hatte das Kabinett am Mittwoch eine Novellierung des Bafög- Gesetzes in die Wege geleitet: Einfrieren der Sätze bis 1996 und Leistungsnachweise schon ab dem 2. Semester sind dessen Kernpunkte. Tausende Studenten protestierten gegen Ortlebs Pläne, der schon in den Jahren zuvor als ausgesprochene Null- Lösung in Kohls Kabinett untergegangen war. Profil hat er nie gewonnen. Bonner Szenekenner waren in der Vergangenheit denn auch eher verwundert, daß der FDP- Mann diverse Kabinettsumbildungen überlebte. Aufgefallen war Ortleb allenfalls als kampfbereiter Oberleutnant der Reserve: Als einziger Bundesminister nahm er an einer Übung der Bundeswehr teil.

Ortleb ist der Mann, der aus dem Osten kam. Er begann seine politische Laufbahn 1968 in der DDR-Blockpartei LDPD, in der er von 1980 bis 1982 Vorsitzender eines Stadtbezirksverbandes in Dresden und ab 1987 Vorsitzender des Kreisverbandes Rostock-Stadt war. Seit 1982 lehrte der Mathematiker als Professor in der Sektion Schiffstechnik an der Universität Rostock. Während der Umbruchzeit in der DDR löste er kurz vor der Volkskammerwahl im Frühjahr 1990 den langjährigen LDPD-Vorsitzenden Manfred Gerlach ab und gründete kurz darauf ein Bündnis liberaler DDR-Parteien. In der Übergangs-Volkskammer übernahm er auch den Fraktionsvorsitz. Nach der Wende im Herbst 1990 nahm die LDPD ihren ursprünglichen Namen LDP an, bevor sie mit der FDP fusionierte. Damals begründete Ortleb sein langjähriges Engagement für die Blockflötenpartei mit dem Argument, er habe sehen wollen, was sich im Sinne liberaler Ideen bewegen lasse.

Der Kanzler wurde gestern nach Angaben aus Regierungskreisen vom Rücktritt Ortlebs überrascht. Über die Nachfolge des einzigen ostdeutschen FDP-Ministers wollen FDP-Bundesvorstand und Bundestagsfraktion heute entscheiden. Als Kandidaten wurden der hessische FDP-Vorsitzende Wolfgang Gerhardt (50) und Bildungs-Staatssekretär Fritz Schaumann (47) gehandelt. Parteichef Klaus Kinkel nahm die Entscheidung Ortlebs mit „Bedauern und Respekt“ zur Kenntnis.

Ortleb ist der erste Minister, der 1994 seinen Hut nimmt. Doch vor ihm haben schon 20 andere Kabinettskollegen von Helmut Kohl in der laufenden Legislaturperiode das Handtuch geworfen. Wer wird der nächste sein? roga/klh