Frauenverachtend -betr.: "Kein kaltplanendes Monster", taz vom 4.1.94

Betr.: „Kein kaltplanendes Monster“, 4.1.94

Am 3.1.94 wurde durch den vorsitzenden Richter Schröder (...) das Urteil gegen den zweifachen Kindermörder Ronald S. ausgesprochen. Die autonomen Frauenhäuser Hamburgs nehmen hiermit dazu Stellung.

Das unser Meinung nach sehr milde Urteil über 8 Jahre wegen Totschlags begründet der Vorsitzende unter anderem damit, daß er der Frau indirekt eine nicht unwesentliche Mitschuld an der Eskalation zuspricht. Seine Aussage hierzu ist: Wäre die Frau nicht ins Frauenhaus gegangen, hätte sie ihren Mann nicht auf diese Art und Weise verlassen, wäre es u.U. nicht so weit gekommen. Ihre Flucht ins Frauenhaus erscheint ihm nicht plausibel, da es vorher zu keinerlei Gewalttätigkeiten gekommen ist. Für ihn war Frau S. kein „typischer Frauenhausfall“.

Der Richter negiert damit vollkommen die Schilderung einer Frau, die 14 Jahre eine Ehe geführt hat, die geprägt war von Demütigungen, körperlicher und seelischer Gewalt, Mordversuchen und Drohungen. (...)

Dies wird besonders deutlich an der Fragestellung des Richters an den Angeklagten: „Ist Ihnen da mal die Hand ausgerutscht?“ An dieser Stelle möchten wir zum wiederholten Male deutlich machen, daß Frauen nicht ins Frauenhaus flüchten, weil dem Mann „mal die Hand ausrutscht“. Das Frauenhaus ist für Frauen die letzte Möglichkeit, wenn sie nicht mehr weiter können. Die meisten Frauen, die im Frauenhaus Zuflucht suchen, haben jahrelange Mißhandlungen, häufig gekoppelt mit Krankenhausaufenthalten hinter sich. (...)

Die Verniedlichung von Gewalt mit der Phrase „ist Ihnen mal die Hand ausgerutscht“ ist empörend und zeigt eine Männersolidarität auf, die selbst vor Gericht zwischen Vorsitzendem und Angeklagtem nicht halt macht.

Was diese Gerichtsverhandlung desweiteren darstellt (...) ist die Tatsache, wie wieder einmal das Verhalten einer Frau ohne Berücksichtigung der vorliegenden Fakten bewertet und negativ interpretiert wird.

-Geht sie weg, weil sie ahnt, daß es möglicherweise wieder zu gewalttätigen körperlichen Auseinandersetzungen kommt, wo sie die Unterlegene ist, handelt sie falsch, weil es waren ja nur Vermutungen.

-Bleibt sie und läßt sich zusammenschlagen, wird ihr vorgeworfen, sie hätte es doch besser wissen müssen, und sie sei selber Schuld, u.U. hat sie das Ganze ja auch provoziert.

-Flüchtet die Frau aufgrund von gewalttätigen Übergriffen durch den Mann und entschließt sich danach, trotz des Erlebten zu ihm zurückzukehren, wird ihr dieser Versuch, nämlich in Auseinandersetzung mit dem Mißhandler zu treten, als Wankelmütigkeit „sie weiß nicht, was sie will“ ausgelegt.

Im Sinne der Gesellschaft und des Richters kann sich eine Frau in solchen Fällen nie einwandfrei korrekt verhalten. Was sie auch tut, es ist immer Anlaß, ihr Verhalten negativ zu interpretieren und ihr damit eine Mitschuld zu suggerieren. Wie häufig wird in Prozessen Eifersucht beim Mann als mildernder Umstand gewertet, bei der Frau hingegen als niederer Beweggrund. (...)

Menschen, die bedeutende Posten ausführen wie Richter (...) haben unweigerlich eine sehr hohe Verantwortung anderen und sich selbst gegenüber. Solange also alte Norm- und Wertvorstellungen durch Urteilssprüche und richterliche Verlautbarungen innerhalb eines Prozeßverlaufs als gesellschaftlicher Maßstab der Öffentlichkeit präsentiert wird, solange wird Männern der Weg für weitere Gewaltakte geebnet. (...)

Wir fordern von daher kontinuierliche Fortbildungen für Richterinnen und Richter zur gesellschaftlichen Stellung von Frauen und Männern sowie Gewalt gegen Frauen.

Das Urteil ist aufs Höchste frauenverachtend und ein offener Schlag ins Gesicht jeder Frau!!!

Das 1., 2. und 3. Hamburger

Frauenhaus und die

Initiative 5. Haus.