Attraktion ist die Brachfläche mit Sandhügeln

■ Stadtplaner untersuchten, wie Kinder aus drei Hamburger Stadtteilen ihren Schulweg erleben, wie sie sich im Viertel zurechtfinden und was sie sich anders wünschen

Geht es um die Veränderung ihrer Lebenswelt, erweisen sich Kinder nicht als Utopisten – es sind vielmehr sehr konkrete Vorschläge, mit denen die Kleinen aufwarten können. Dies brachte eine Pilotstudie der Stadtplaner Beata Huke-Schubert und Bernhard Beyerlein zutage. Im Auftrag der Stadtentwicklungsbehörde (Steb) erkundeten sie im vergangenen Sommer gemeinsam mit Grundschulkindern aus drei Stadtteilen deren „Erlebnisraum Schulweg“.

Veränderungsvorschläge von überraschender Klarheit förderten die Gutachter zutage: Zwar sind Achtjährige nicht in der Lage, vorausschauend ihre Wohnumwelt zu planen, sie beobachten aber ihre Umwelt genau – und können daher wichtige Hinweise für eine kinder- und menschengerechtere Gestaltung der Stadt geben.

Mit der monotonen Hochhaussiedlung Bergedorf West, der Mustersiedlung Allermöhe I und dem typisch innerstädtischen Quartier Eimsbüttel hatten Huke-Schubert und Beyerlein drei sehr unterschiedliche Stadtteile ausgewählt: Gemeinsam mit den Zweitklässlern rückten sie diesen – ausgerüstet mit Stadtkarten – auf einer Schulweg-Ralley zu Leibe. Das Unternehmen spielte sich im Rahmen von einwöchigen Schulprojektwochen unter Einbeziehung von Eltern und Lehrern ab.

Erste Überraschung für die Gutachter: Die Lütten kamen zumeist ohne große Probleme mit den Karten zurecht. Ihre Wohnung, die Schule und andere wichtige Merkpunkte (Eis- und Spielwarengeschäfte, Kindergarten etc.) konnten sie darauf wiederentdecken.

In Eimsbüttel orientiert es sich am leichtesten

Ebenso erstaunlich: Nicht in der einfach strukturierten Bergedorfer Hochhaussiedlung, sondern in Eimsbüttel fällt den Achtjährigen die Orientierung am leichtesten. Stereotype Häuserblocks, diffuse und für Kinder funktionslose Grünflächen sowie Riesen-Parkplätze gestalten das Zurechtfinden für die kleinen BergedorferInnen schwierig. Hingegen wird das enge, gründerzeitliche Straßensystem in Eimsbütttel als besonders überschaubar empfunden.

Allgegenwärtig und im Empfinden der Kinder ein echter Störfaktor: der Autoverkehr. Besonders die kleinen BergedorferInnen beklagten sich über Raser, uneinsehbare Ausfahrten, parkende PKW und fehlende Ampeln auf ihren Schulwegen. „Viel zu breite Straßen“, lautet ihr Urteil; folgerichtig wünschen sie sich diese schmaler und statt dessen breite Radwege.

Für die ohnehin nicht mit Platz verwöhnten Eimsbüttler Kinder stellen sich Autos vorrangig als Konkurrenten um die knappen Frei- und Spielflächen dar. So beschreiben die Gutachter die Kinderzeichnungen unter dem Thema „Straßenraum“ als „angespannt“, obschon die Stadt generell als „freundlich“ dargestellt wird.

Wie schnell Erwachsene die Abenteuerlust ihrer Kindertage vergessen, machen die Wünsche der Kurzen in Allermöhe deutlich: Der Siedlung, die sich durch zahlreiche Fleete, Brücken und eine ansprechende Architektur wohltuend von anderen Neubauagglomeraten abhebt, fehlt dennoch Entscheidendes: das Stück unbebaute Grün, auf dem es für Kinder etwas zu entdecken gibt. Zwar sind hier zahlreiche Spielmöglichkeiten am Wasser zu finden - von denen fast alle Kinder träumen - aber auch sie leiden unter dem sterilen Reißbrettsyndrom. Es wundert daher kaum, daß die größte Attraktion für die Lütten aus der streng geometrischen Siedlung eine Brachfläche war, auf der wegen Bauarbeiten große Sandhügel aufgeschüttet worden waren. Hier boten sich Spielvarianten und Abenteuer über Schaukel und Rutsche hinaus. Inzwischen ist auch diese letzte Freifläche bebaut worden.

Gestaltungsräume als Aggressionsventile

Es sei von „zunehmender Relevanz“, so das Fazit der Stadtplaner, Kinder künftig vermehrt in die Stadtplanung einzubeziehen. Ob durch Planungen Einengungen oder Gestaltungsräume für Kinder geschaffen würden, sei nicht nur für deren Zukunft wichtig, sondern für die gesamte Gesellschaft. Das Gewaltproblem an Schulen könne auch als Hinweis dafür dienen, daß sich mit kinderfreundlichen Planungen womöglich Aggressionsventile und Freiräume schaffen ließen, die gesellschaftliche Zwänge für Kinder abmildern helfen. sako