Gesucht: die Stadt für Kinder

■ Eine Arbeitsgruppe aus Hamburger Behörden forscht nach Methoden, die Bedürfnisse der Jüngsten zu berücksichtigen Von Sannah Koch

Ein Stück urwüchsiges Grün, ein Tümpel mit etwas Baggermatsch, Fuß- und Fahrradwege ohne störende Blechkarossen, Bäume zum Klettern und Äpfel zum Pflücken – bescheidene Wünsche, die Kinder an ihre Umwelt stellen. Aber nicht einmal die bekommen sie erfüllt. Belanglosigkeiten, mit denen sich Stadtplaner früher nicht abgegeben haben. Heute sind einige von ihnen etwas klüger: Sie haben erkannt, daß es bei der Berücksichtigung von Kinderinteressen nicht einfach nur um die Befriedigung einer weiteren Lobby geht. Eine kindgerechte Gestaltung der Stadt, so meinen einige Hamburger PlanerInnen, wird sich sich vielmehr in zunehmendem Maß zum Garanten für den sozialen Frieden in der Stadt, zum bedeutenden Faktor für das soziale Gleichgewicht eines Quartiers entwickeln.

Um die bessere Berücksichtung von Kinderbelangen brüten seit Ende 1992 MitarbeiterInnen der Umwelt-, Bau-, Schul- und Sozial-, sowie der Stadtentwicklungsbehörde (Steb). Anlaß: Ein Ersuchen der Bürgerschaft an den Senat, „durch geeignete Verfahren sicherzustellen, daß bei Planungsprozessen und Entscheidungen (...) die Lebensinteressen und Bedürfnisse von Kindern noch stärker als bisher berücksichtigt werden“.

Stadtkinder leiden vor allem unter Schadstoffen und Bewegungsmangel

Etwa 250.000 Kinder im Alter bis zu 14 Jahren werden im Jahr 2000 in der Hansestadt leben, das sind rund 15 Prozent der Gesamtbevölkerung. Ein relativ kleiner Anteil, der aber in hohem Maße von den gegebenen Bedingungen betroffen ist: So leiden die Lütten besonders unter den Umweltbelastungen, da sich in ihren kleinen Körpern Schadstoffe in hoher Konzentration ansammeln. Auch führt Bewegungsmangel immer häufiger zu starken körperlichen Beeinträchtigungen wie Haltungsschäden, Übergewicht und motorischen Auffälligkeiten sowie zum Verlust der räumlichen Wahrnehmung und der Orientierungsfähigkeit. Ein weiterer dramatischer Indikator für die Mängel, denen Stadtkinder ausgesetzt sind: Die zunehmende Gewalt an Schulen.

„Die Aufgabe der Bürgerschaft schien uns zunächst einfach“, erzählt Irene Janys, als Oberbaurätin der Steb Mitglied in der behördenübergreifenden Arbeitsgruppe. Ziemlich bald stellte sich jedoch heraus, daß es sich vielmehr um einen „Riesenbeutel von Problemen“ handelt, der sich kurz als die Vertreibung von Kindern aus dem öffentlichen Raum umreißen läßt. Die aggressive Hauptrolle bei diesem harten Verdrängungskampf: Autoverkehr und Flächenverlust durch innerstädtische Verdichtung.

Drei Modellgebiete suchte sich die Arbeitsgruppe aus, um nach Methoden zu forschen, mit denen Kinder künftig besser in Planungen einbezogen werden können. Im Untersuchungsraum Bergedorf-West/Allermöhe I geht es darum, Hinweise für die kindgerechte Planung von künftigen Neubausiedlungen zu erhalten. Für Altona-Altstadt steht die Umgestaltung eines gewachsenen Quartiers im Mittelpunkt , und in Eimsbüttel sucht die Umweltbehörde nach Mitteln, Spielflächen zurückzugewinnen. Erste Aufschlüsse für den Komplex Neuplanung liefert die bereits abgeschlossene Pilotstudie „Erlebnisraum Schulweg“ der Stadtplaner Beata Huke-Schubert und Bernhard Beyerlein (siehe Artikel unten).

Was für Achtjährige toll ist, kann Jugendliche vollkommen langweilen

Allerdings müsse bei der Auswertung berücksichtigt werden, so Huke-Schubert, daß Jugendliche schon wieder andere Bedürfnisse haben als Zweitkläßler: Allermöhe I beispielsweise bietet für Grundschulkinder vergleichsweise viel Bewegungs-Raum, für Teenies hingegen könne sich die Mustersiedlung durchaus als langweilige Schlafstadt darstellen.

Ungleich schwerer als die kindgerechte Planung für neue Siedlungen stellt sich eine entsprechende Umgestaltung gewachsener Quartiere dar. In dicht bebauten Vierteln wie Altona-Altstadt sind selbst scheinbar kleine Probleme schier unlösbar: wie Hundekot, der nahezu jede grüne Ecke für Kinder unbenutzbar macht.

Die Aufwertung von Kinderleben in der Stadt, so betont Irene Janys, sei daher nicht ohne die Einbeziehung der Bevölkerung zu verwirklichen. Im Behördendenken sei der Idealzustand erreicht, wenn sich die MitarbeiterInnen bei ihren Planungen der Belange von Kindern ganz selbstverständlich bewußt seien. „Die Arbeit unserer Gruppe hat in diese Richtung etwas angestoßen“, so Janys, „wir sind auf dem richtigen Weg“. Vermutlich wird er trotzdem steinig sein.