Arm – aber wo am besten?

■ Hannovers Stadtverwaltung präsentiert ihren ersten umfassenden Sozialbericht

Hannover hat etwas, worum andere Kommunen die Landeshauptstadt beneiden: den Sozialbericht 1993 zur „Lage der Kinder, Jugendlichen und Familien in Hannover“. Diese Meinung jedenfalls vertritt Herbert Schubert von der neu geschaffenen Koordinationsstelle Sozialplanung in der städtischen Behörde. Unter seiner Regie haben sich MitarbeiterInnen der Verwaltung ämter- und dezernatsübergreifend dem Phänomen Armut genähert.

Auf 177 Seiten steht wer, wo und warum arm ist. Bekanntes kommt zum Vorschein: Ein Fünftel der hannoverschen Bevölkerung, rund 110 000 Frauen, Kinder und Männer leben unterhalb der offiziellen Armutsschwelle. Von Armut betroffen sind besonders alleinerziehende Frauen und Kinder unter 14 Jahren.

Die meisten von ihnen leben im Westen der Stadt zwischen Vahrenheide und Sahlkamp im Norden und Ricklingen im Süden. Als Armutsenklaven im reicheren und sozial stabileren Ostteil der Landeshauptstadt gelten die Stadtteile Wülfel und Groß-Buchholz. Die citynahen Stadtteile haben bei den Betroffenen gleichwohl ein gutes Image, weil sie „soziokulturell lebhaft“ sind.

Auch Armut hat mehrere Gesichter: SozialhilfeempfängerInnen aus unterschiedlichen Stadtteilen empfinden ihr Armsein unterschiedlich. Alte, gewachsene und citynahe Quartiere mit einer lebendigen – alternativen – Kultur wie Linden schneiden im Vergleich zu den problematischen Neubausiedlungen gut ab.

Der Sozialbericht hat einen gravierenden Mangel: Vorangegangene Studien werden weder erwähnt noch wird auf sie aufgebaut. 1992 wurde die Studie „Die sozialen und politischen Strukturen Hannovers in kleinräumlicher Gliederung“ präsentiert. Für dieses 440-Seiten- Werk, an dessen Entstehung neben dem niedersächsischen Sozialministerium und dem Kommunalverband Großraum Hannover auch die Statistikstelle der Stadt tatkräftig mitgewirkt hat, zeichnet Thomas Hermann von der Arbeitsgruppe interdisziplinäre Sozialstrukturforschung der Universität Hannover verantwortlich. Im November 1992 erschien schließlich auch die Expertise für den Sozialausschuß der Stadt zur „Armutsberichterstattung für Hannover“.

Die inhaltliche Übereinstimmung kann ebenso wenig überraschen wie die bislang fehlende Umsetzung der vielen guten Empfehlungen für eine neue Sozialpolitik der „solidarischen Stadt“.

So haben sich SPD und GABL- Vertreter im Jugendhilfeausschuß erst jüngst geweigert, drei Kindertagesstätten in den Armutsbezirken bereits 1993 den Status von Brennpunktkitas zu geben. Leider fehle das Geld für zusätzliche Personalausgaben. Sie wolle bei Eltern und Kindern keine falschen Erwartungen wecken, bedauerte GABL- Frau Barbara Rottmann.

Die Ergebnisse der Studie sind nich überraschend: Seit Jahren sind die Standorte der drei großen städtischen Unterkunftsgebiete Auf dem Rohe, Kiefernpfad und in Mecklenheide bekannt, auch die Verteilung der derzeit noch rund 34 200 Belegrechtswohnungen waren kein Geheimniss. Bekannt sind schließlich seit langem die als soziale Brennpunkte deklarierten 70er-Jahre-Großsiedlungen sowie die Standorte der Unterkünfte für Asylbewerber, Flüchtlinge und Aus- und Übersiedler. Die Untersuchungen basieren ferner weitgehend auf dem gleichen Zahlenmaterial wie die vorhergehenden Studien. Neu ist lediglich eine Stichprobenerhebung von 1993 der Verwaltung.

Immerhin ist der Sozialbericht ein nützliches Nachschlagewerk. Akribisch ist dargestellt, wie sich die SozialhilfeempfängerInnen auf die Stadtteile verteilen, wieviel Wohnraum sie nutzen können, wo überwiegend Familien/Alleinerziehende, Kinder und Studenten wohnen und woher die Besucher etwa von Volkshochschulkursen und Hauptschulen kommen. Die Analysen der Verwaltung bestätigen alte Analysen, daß nämlich Armut mit geringen Bildungschancen einhergeht. Die Koordinationsstelle arbeitet bereits an einer Fortschreibung des Datenmaterials.

kk