Evidente Verstöße

■ Ein Interview mit dem Hamburger Rechtsanwalt Dr. Ralf Wojtek über die Frage des menschenwürdigen Wahlspots

taz: Wo sind die Grenzen bei Wahlwerbespots von Parteien?

Dr. Ralf Wojtek: Solange eine politische Partei nicht verboten ist, kommt es nicht darauf an, ob sie extremistische oder sonstige Ziele verfolgt. Für die Zulässigkeit einer Wahlwerbung kommt es allein auf deren Inhalt an.

Nach welchen Maßstäben wird beurteilt, zum Beispiel bei ausländerfeindlichen Spots?

Es müssen schwerwiegende und evidente Verstöße gegen allgemeine Gesetze vorliegen. Ausländerfeindliche Statements, mit denen Haß oder Verachtung erzeugt werden soll, sind immer als schwerwiegender Verstoß gegen die Rechtsordnung anzusehen. Das Hamburger Landgericht hat in Sachen 'Alsterradio‘ deshalb die verächtlichmachende Wahlwerbung der DVU untersagt.

Wieso beurteilen das andere Gerichte anders?

Sie berufen sich zu Unrecht auf die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts, daß die Intendanten die Zulässigkeit „großzügig“ zugunsten der Parteien beurteilen sollen. Wie ich meine, darf dies jedoch nicht zu Lasten der Menschenwürde gehen. Zu deren Schutz hat sich die Bundesrepublik im Grundgesetz und in zahlreichen völkerrechtlichen Verträgen verpflichtet.

Wird der Gesichtspunkt der Menschenwürde als Kriterium berücksichtigt? Außer in dem neuen Rundfunkgesetz des Saarlandes wird sie kaum erwähnt.

Das schon erwähnte Hamburger Landgericht und ihm folgend auch das Hanseatische Oberlandesgericht haben den Wert der Menschenwürde sicherlich gebührend gewürdigt. Andere Gerichte dürften meines Erachtens die Änderung der Verhältnisse, insbesondere die Zunahme ausländerfeindlicher Aktivitäten und Übergriffe nicht unberücksichtigt lassen. Siemüßten eine höhere Sensibilität für den Schutz dieses Rechtsguts entwickeln – ähnlich wie die Rechtsprechung in den sechziger Jahren auf antisemitische oder verdeckt antisemitische Äußerungen reagiert hat.

Was halten Sie von der Auffassung, daß der Wähler selbst am besten entscheiden kann, was gut und was schlecht ist?

Viel. Aber wir dürfen nicht allein den potentiellen Wähler im Auge haben. Wir müssen auch an die Menschen denken, die als Wähler nicht in Betracht kommen: Jugendliche, die sich von Parolen hinreißen lassen, und ausländische Staatsbürger, die kein Wahlrecht besitzen und die nicht einmal in der Lage sind, einer Partei, die ihnen Verachtung entgegenbringt, den berühmten „Denkzettel“ zu erteilen. Diese Bevölkerungsgruppen haben ein Recht auf staatlichen Schutz und Fürsorge. Interview: Ulla Küspert