"Wir paktieren selbst mit dem Teufel"

■ In Auerbach entfaltet die Arbeitslosenselbsthilfe erstaunliche Aktivitäten / In Begegnungszentren und Beschäftigungsprofekten des Arbeitslosenverbands arbeiten 131 Leute / Das Ziel ist ...

Arbeitslos ist nicht gleich arbeitslos. Es ist nicht dasselbe, ob es Männer oder Frauen trifft. Rita: „Am Anfang hat man noch alles gemacht wie früher, Hobbies und Weggehen und so. Dann war da nur noch Putzen und Kinder. Ich kam nicht mehr raus, für nichts war mehr Zeit, weil man sich unnötige Arbeit zu Hause macht.“

Doch Rita ist nicht mehr arbeitslos. Im Hintergrund rattern Nähmaschinen, brummelt hier eine Frau, weil ihr der Faden gerissen ist, läßt sich dort eine andere ein Muster erklären. Kästen mit Garnen in allen Farben stehen herum, die leuchten in dem hellen Zimmer besonders schön. „Paß auf, daß de disch net nein Fingernogel steppst“, stupst eine Ältere in Kittelschürze die Nachbarin an und zuppelt an deren Stück Stoff herum.

Neun Frauen, die meisten zwischen vierzig und fünfzig, kräftige Gesichter und handfeste Dauerwellen. Landfrauen aus Eich im Kreis Auerbach, heute scheint hier sogar die Sonne. Mit acht Kolleginnen stickt und steppt Rita Muster auf Textilien, alle neune haben eine feste Stelle. Träger dieser Fördermaßnahme ist der Arbeitslosenverband Deutschland e. V., Kreisverband Auerbach.

Oben auf dem Berg liegt ein Schloßturm, der eigentlich nur der Rest einer alten Burgfestung ist, rechts meldet sich ein weiterer Turm zu Wort, der dritte ist von weitem nicht mehr zu sehen, weil die Sparkasse mit ihrer blitzneuen Filiale den Blick versperrt. Das ist die „Drei-Türme-Stadt“ Auerbach, die sich auf Hügelchen und Hügeln an der Göltzsch entlangzieht. Hier liebt man „Bambes mit Obst“ und ist nicht etwa Sachse, sondern Vogtländer. Die Vogtländer sind, wie sie stolz bekennen, ein „kleines, gehässiges, zänkisches Bergvolk“.

Die Arbeitslosen müßten auf die Straße

Doch wer zanken will, braucht Energie, und wer sich daran gewöhnt hat, weniger zu tun und weniger zu erwarten, als für seine Existenz bislang notwendig war, köchelt auf Sparflamme. „Die Arbeitslosen müßten trommeln, sie müßten auf die Straße“, feuert der Arbeitslosenverband die Auerbacher an. Doch die Leute sind geduldig und sparsam, kein Aufruhr zwischen den Hügeln. Die CDU hat ihren Bürgermeister, der Mittelstand gründet gerade seinen Lions Club, und die vor der Kirche St. Laurentius aufgetürmten Wackersteine werden wohl alle im Pflaster landen und nicht in den Schaufenstern der bereits hübsch restaurierten Altstadt. Nur der Neid sei gewachsen, behaupten die Leute, „hier gönnt keiner dem anderen nichts“.

Die Männer in Auerbach sind noch gut dran, aber bei den Frauen sind sieben von zehn ohne Beschäftigung. „Hausfrau“, bemerkt Rita verächtlich, „das kannste nur, wenn du dein Leben lang nichts anderes gemacht hast.“ Und die rundherum rundliche Uta, die gerade mit einer Mickymaus auf dem Stickrahmen kämpft, brummt hinterher: „Bist 50, Kinder und Enkel sei groß. Sollst denn zu Hause putze, oder was?“

Männer in Arbeitsnot werden schnell stumpf, Frauen in der Bredouille suchen Hilfe und lassen sich eher beraten. Sie sind die Hauptklientel des Arbeitslosenverbands, der am Fuße des Schloßturms seine Geschäftsstelle hat. Und vieles, was von der zänkischen Energie des Bergvolkes noch übrig ist, scheint sich im Umkreis des Verbandes zu versammeln.

Hier wird der Wust an Förderangeboten, die von der EG, von Bund, Land und Kommunen speziell für den Osten vorgesehen sind, systematisch durchforstet; es wird geplant und paktiert, und was dabei herauskommt, ist erstaunlich: der Verband hat ein Begegnungszentrum in Auerbach aufgebaut, das ABC, mit allen Informationsangeboten, die sich eine Arbeitslose nur wünschen kann.

„Wo ist das Arbeitsamt, wo das ABC?“ fragst du einen Passanten in Auerbach, er kann es ganz sicher sagen. Das ABC bietet Kinderbetreuung und Hausaufgabenhilfe, ein Café und eine Suppenküche. Vogtländischer Eintopf für 1,50, Schnitzel mit Beilage 4,50 Mark. „Natürlich würd' ich lieber arbeiten gehn, als hierherzukommen“, erzählt eine Frau, „aber zu Hause werd' ich verrückt, und hier erfährt man doch wenigstens was.“ Infozentren gibt es noch in drei weiteren Orten des Kreises, eines mit einer Computerlehrstube.

„Wir pflegen gute Partnerschaft mit denen, die am längeren Hebel sitzen“, bemerkt Matthias Dittmann grinsend in dem schiefen kleinen Zimmer unter dem Dach der Geschäftsstelle, „und würden sogar mit dem Teufel paktieren, wenn was dabei rumkommt.“ Der 37jährige trägt Bart, war früher FDGB-Funktionär und ist heute Vorsitzender des Kreisverbandes.

Den Arbeitslosenverband Deutschland gibt es nur im Osten, straff zentralistisch organisiert. Die Initiativen im Westen lehnen diese Form ab, dafür leiden sie unter ihrer Zersplitterung.

Neben den Beratungsstellen betreibt der Verband noch sechs Beschäftigungsprojekte: mit 131 Leuten, davon 92 Prozent Frauen. Die Grundlage aller Nationalökonomie, schrieb Tucholsky, ist das Geld. Woher es kommt, ist unbekannt. Es ist eben da bzw. nicht da – meist nicht da. Davon können die Auerbacherinnen ein Lied singen. Früher, da ging um sechse das Licht an, um sieben waren Busse und Züge voll, es ging auf Arbeit. Zu „Warco – Nachtwäsche, ein Begriff“ oder einem der anderen Textilkombinate. Heute sind die Fenster oft noch um sieben dunkel, der Mann kommt noch schwerer aus den Federn, und wenn die Kinder nicht zur Schule müßten...

Geld ist eben da oder eben nicht da

Aber es ist nicht hauptsächlich Geld, was die Frauen an einer Anstellung reizt. Wie ging es Ihnen vor der ABM? wollte der Arbeitslosenverband wissen. Wie geht es Ihnen jetzt? Was ist das Wichtigste an dem Projekt? Die meisten Frauen antworteten: Früher war es beschissen, jetzt geht es besser, und das Wichtigste ist 1) ich bin wieder unter Menschen und raus von zu Haus, 2) ich mache was Sinnvolles und dann 3) ich habe mehr Geld. „Früher, das war doch auch kein Geld“, erklärt Uta, die glücklich mit ihrer Mickymaus fertig geworden ist, „das war's doch nicht, weswegen du von morgens bis abends rammeln gegangen bist.“

Vier Projekte des Verbandes gehören zur Textil- und Bekleidungsbranche, dazu kommen eine Gärtnerei und ein Lebensmittelladen. Typische Arbeitsbeschaffung für Frauen? Sicher. Aber in diesem Bereich haben fast alle schon früher gearbeitet. Auch typisch: Eines der Projekte hat sich diesen Monat selbständig gemacht – ein Ziel, das der Verband für alle Projekte im Auge hat. Das „Ökologische Textilrecycling“, mit 22 Frauen und vier Männern, ist seit einigen Tagen eine GmbH. Die Gesellschafter kommen aus dem Projekt selbst – keine einzige Frau ist darunter. Dittmann: „Irgendwie trauen sie sich dann doch weniger zu als die Männer.“

Alle Bürgermeister der umliegenden Gemeinden, erzählt der Vorsitzende, wünschten sich Zusammenarbeit mit seinem Verband. Auch mit dem Arbeitsamt laufe es prima. Hier im Osten säßen doch alle im sinkenden Boot und da wollten sich doch Behörden, Parteien und Initiativen nicht gegenseitig ins kalte Wasser schmeißen. Im Gegenteil: Zwei ABM-Stellen des Verbandes sind direkt im Arbeitsamt angesiedelt. Robert Hochbaum, Leiter der Nebenstelle, führt zufrieden die Spielecke für Kinder vor, die von den beiden Frauen betreut wird, und witzelt: „Die Frauen sind unsere ,Gangworker‘. Sie beschäftigen nicht nur die Kinder, sie versuchen auch Ratsuchenden über die erste Beklemmung hinwegzuhelfen.“

Warum sind die in Auerbach so aktiv?

Warum, fragt sich Hochbaum, der Westler, sind die hier in Auerbach so aktiv? Natürlich kriegt der Osten Arbeitsfördermittel, von denen der Westen nur träumen kann, aber das allein ist es nicht. „Es liegt wohl an den Leuten, die sich zusammengefunden haben.“

Wer in der Historie der Stadt stöbert, findet noch eine andere Erklärung. Im 17. Jahrhundert gab es in Auerbach große Pechhütten, die Stadt bekam den Beinamen „Pechstadt“. Brände, Pest und Dreißigjähriger Krieg machten aus dem Nomen ein Omen. Vielleicht gibt es Leute, die das endlich ändern wollen.