"Die fühl'n sich doch wohl im Elend"

■ In der saarländischen Kleinstadt Sankt Wendel stören Arbeitslose nur im Stadtbild / Die einzige Beratungsstelle für erwerbslose Menschen ist seit Anfang 1993 wegen Geldmangel geschlossen / Hier ...

Mit der Arbeit ist das so eine Sache. Wenn man sie hat, wundert man sich, was man an ihr findet, hat man keine, wundert man sich bald über gar nichts mehr. Der Saarländer ißt „Lyoner“, was die hiesige Fleischwurst ist, und „is uff die Grub oder uff die Hütt gang“. Das tun nur noch wenige. Die Statistik behauptet, hier gibt es so viele Arbeitslose wie überall im Land, doch in Sankt Wendel ist davon nichts zu sehen, nichts zu spüren.

Da macht man sich in der kleinen Stadt auf die Suche. Guckt um die Ecken in die murkeligen Gassen, freut sich an den buntgemalten Bürgerhäusern aus dem letzten Jahrhundert, findet Kneipen und Gasthäuser zuhauf und in jedem Winkel einen dieser netten kleinen Läden, in denen alles etwas teurer ist. „Hier in Sankt Wendel“, erzählt einem der Einheimische, den man im Café trifft, „ist es noch fast wie auf'm Dorf. Wer hier fällt, fällt nicht auf Beton, sondern meistens auf 'ne Matratze.“

Und die Arbeitslosen?

Jeder Gang durch die Kleinstadt führt zur Wendalinus-Basilika. Ein zu groß geratenes, backsteindunkles Gemäuer für Wallfahrt- und Weihrauchfans. Als Kontrast liegt in der Nähe die Mott, ein Platz wie eine Mondlandschaft, so heimelig wie eine gekachelte Bahnhofshalle. Da gibt es unter der Mott die riesige Tiefgarage und drumherum noch hundert weitere Parkplätze – Stadtentwicklung im Sinne des Einzelhandels. Der braucht in Sankt Wendel keine mühsame Lobbyarbeit zu machen; er hat sich mit der kommunalen Verwaltung zu einer Aktionsgemeinschaft zwecks gegenseitiger Förderung zusammengeschlossen: „In Sankt Wendel tut sich was.“ Und dann nimmt man ihn irgendwann wahr, diesen satten Dunst, den der Ort ausmuffelt: „Hauptsach gudd gess“, und was scheren mich die anderen.

Und die Arbeitslosen?

In Arbeitsförderung steckt die Stadt 634.000 Mark rein, das sind knapp 0,6 Prozent des Gesamthaushalts. Wem es sonst dreckig geht, kann sich ja mal an die Caritas oder die Arbeiterwohlfahrt wenden. Arbeitsloseninitiativen? Selbsthilfeprojekte? „Es kommt darauf an“, bemerkt Ilona Despi, stellvertretende Leiterin im Arbeitsamt Sankt Wendel, spitz, „wer sich als Arbeitsloser in so einer Initiative zusammentut.“ Es gebe auch die, „die gar nichts positiv sehen können und nur gegen die Behörden bunkern“.

Im tadellos renovierten Rathaus klingt es so: „Pseudosoziale Vereine brauchen wir nicht“, sagt Thomas Wüst, Sprecher der Stadt. Was nützen Sankt Wendel sozial engagierte BürgerInnen? Es gibt doch die katholische Kirche, die ist seit Jahrhunderten für Soziales zuständig. Was soll offene Jugendarbeit? Es existieren genügend ordentliche Vereine, in denen die Kids glücklich werden können.

Und die Arbeitslosen?

Wer in Sankt Wendel mit seinen über 60 Prozent CDU-Wählern arbeitslos ist, ist es heimlich. Es gibt keine Treffs, keinen Ort, wo sich Arbeitslose über ihre speziellen Probleme austauschen können. Das macht jeder für sich ab. Im Saarland wird „geschafft und Häusle gebaut“, nur in Schwaben gibt es mehr Eigenheime. Wer stempeln muß, dem zerbröseln die langfristigen, bodenständigen Lebenskonzepte – arbeitslos waren bisher doch immer die anderen, auch wenn es in jeder Familie seit den 60er Jahren mindestens einen getroffen hat.

„Die Stadt setzt eben andere Schwerpunkte“

„Noch ist die Scham groß, sich zu bekennen“, sagt Jürgen Möller, alteingessener Wendeler und Mitgründer des Vereins „Hilfe für Arbeitslose“. Der richtete 1987 eine Beratungsstelle für Menschen ohne Job ein. Mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wurde professionelle Hilfe und Kommunikation geboten. Mehr als 600 Menschen pro Jahr nahmen das Angebot an. Geld kam vom Land und vom Kreis, die Stadt gab keinen Pfennig. Als sie auch noch im Oktober 89 einen Zuschuß verweigerte, mußte die Beratung eingestellt werden.

„Die Stadt setzt eben andere Schwerpunkte“, stellt Sprecher Wüst lapidar fest. Zweifellos. Da gibt es einen Kulturetat von rund 500.000 Mark und für den örtlichen Motorradclub sind ohne weiteres 10.000 Mark Zuschuß drin. „Aber wenn Aktivitäten aus der falschen Ecke kommen, werden sie behindert oder nicht gefördert“, flucht Möller. Er ist SPDler im Stadtrat, und seine liebste Zielscheibe ist das Schienbein von CDU-Bürgermeister Klaus Bouillon: „Hier läuft alles, was das Image des Bürgermeisters poliert. Die Belange der einzelnen aber gehen verloren.“

Es läßt sich gehässiger sagen. Die Politiker hierzulande pflegen ein nettes Spiel: Projekte, die das SPD-regierte Land unterstützt, werden von der CDU-regierten Stadt gern boykottiert – und vice versa. Für die Betroffenen, die ungefragt mitspielen müssen, ist das nicht amüsant. Sie werden vom einen gehätschelt, vom anderen abgeblockt – und vice versa.

Der Verein „Hilfe für Arbeitslose“ gründete Ende 1989 ein weiteres Projekt – die „Möbelbörse“ für arbeitslose Jugendliche. Dafür ließ sich die Stadt gewinnen. Von ihrer finanziellen Hilfe konnte die Initiative dann etwas für die Beratungsstelle abzweigen. Sie wurde wieder eröffnet. Anfang letzten Jahres gab es erneut Finanzprobleme und schließlich das Aus. Die Anlaufstelle für Arbeitslose wurde endgültig dichtgemacht.

„Da hilft doch Tante und Onkel oder Oma“

„Daß es keine Arbeitsloseninitiative in Sankt Wendel gibt, ist doch sogar ein gutes Zeichen“, überlegt Klaus Söndgerath im Arbeitsamt Neunkirchen, übergeordnete Dienststelle von Sankt Wendel. „Solche Initiativen sind doch 'ne zwiespältige Sach'. Da richten sich die Arbeitslosen dann ein und fühlen sich vielleicht auch noch wohl in ihrem Elend.“ Außerdem brauche niemand solche Hilfe, wo die Familie noch intakt und die Dorfgemeinschaft ein warmes Nest sei. „Da hilft doch Tante und Onkel, und die Oma tut auch was dazu.“

Das soll er mal denen sagen, die es angeht. In der Möbelbörse riecht es nach Holzleim und Sägespänen, abgesessene Stühle stehen herum, Schränke mit hängenden Scharnieren, ramponierte Resopalspülen. „Da tut der Staat sich drauf verlasse, daß die Familie hilft. Schön wär's“, knurrt Kerstin und fuchtelt mit dem Schraubenzieher. Sie war fast zwei Jahre arbeitslos, jetzt qualifiziert sie sich mit zehn anderen Jugendlichen in der Möbelbörse. Finanziert über ABM. Träger ist der Verein „Hilfe für Arbeitslose“, sein einziges Projekt zur Zeit. Ein Jahr lang lernen die jungen Leute, gebrauchte Möbel aufzuarbeiten, dann hoffen sie auf Umschulung. Eine Lehrstelle ist das höchste der Gefühle.

„Unsere Eltern können uns gar kein Geld geben“, erklärt Holger mit dem Igelschnitt, „manche von uns wohnen noch zu Hause, das ist aber auch alles.“ Wie viele der Eltern arbeitslos sind, erwähnt er nicht, über seine Zukunft spricht er nur widerwillig. Bevor er in der Möbelbörse anfing, hat er nur zu Haus rumgehangen. Alles war öde, aber wo sollte er in seiner Situation hingehen in Sankt Wendel? Jetzt hat er die ABM-Stelle, prima, und dann: „Job, der sicher ist und genug Geld bringt, gibt's nicht!“ Hoffnungen, Träume? Er ist mal gerade 20. Fehlanzeige! Auch bei denen, die man sommers auf der Sankt Wendeler Mott hocken sieht. Sitzen da und merken nicht einmal mehr, wie sich das Drahtgestell der Bänke in ihren Hintern bohrt. Wohl auch welche ohne Tante und Onkel. Im Winter sind sie verschwunden. Wie schön, daß die Häuser innen hohl sind, heißt es in einem blöden Witz, damit man sich drinnen verkriechen kann.

Wenn ökonomische und seelische Hilfsquellen versiegen – wen kümmert's in Sankt Wendel? Selbstzufriedenheit gibt es steuerfrei, die soll man den Leuten nicht nehmen.