„Sein Ausländerdasein ist ein Privileg“

■ Ein Gespräch mit der türkischen Soziologin und Pädagogin Neval Gültekin

taz: Neval Gültekin, Sie leben seit 22 Jahren in Deutschland, haben hier Soziologie und Pädagogik studiert und in Frankfurt das Bildungs- und Beratungszentrum „Interkulturelle Frauenarbeit“ mitgegründet. Haben Sie das Gefühl, daß Sie als Türkin in Deutschland diskriminiert werden?

Neval Gültekin: So pauschal kann ich Ihnen keine Antwort geben. Durch meinen Beruf stehe ich mit vielen ausländischen Mädchen, Frauen und Familien in Kontakt. Durch sie erfahre ich täglich von Diskriminierungen. Da sind zunächst einmal Fälle, die durch Gesetze und Verordnungen bedingt sind. Nehmen wir zum Beispiel Frauen, die aufgrund der Familienzusammenführung nach Deutschland kommen. Diese Frauen erhalten mindestens drei Jahre lang keinen eigenen Aufenthaltsstatus. Ihr Aufenthalt ist an den ihrer Männer gekoppelt, auch finanziell sind sie völlig auf die Unterstützung ihrer Männer angewiesen. Im Falle einer Trennung erhalten sie keinerlei Sozialhilfe, sie werden in ihre Heimat abgeschoben.

Oder nehmen wir das leidige Problem mit der Arbeitserlaubnis. Seit der Verordnung der Bundesanstalt für Arbeit vom Mai vergangenen Jahres werden Ausländerinnen und Ausländer, die nicht im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung sind und nicht den EG-Staaten angehören, immer weiter aus dem Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Stellen Sie sich vor: Einer Kursteilnehmerin, die gleichzeitig nur sieben Stunden pro Woche bei uns als Putzfrau arbeiten wollte, um etwas Geld zu verdienen, wurde die Arbeitserlaubnis verweigert. Wir erhielten vom Arbeitsamt einen Brief mit der Aufforderung, die Stelle bei der Arbeitsvermittlung anzumelden. Sollte sich dafür sechs Wochen lang kein Deutscher oder EG-Angehöriger melden, dann durfte unsere Bewerberin die Arbeit übernehmen. Solche Verordnungen sind für die Betroffenen ungeheuer diskriminierend.

Sehen wir mal von den Gesetzen ab. Spüren Sie auch Diskriminierungen im täglichen Umgang mit der deutschen Bevölkerung?

Ja, mit der zunehmenden Verschärfung der Gesetze geht eine Verhaltensweise der Bevölkerung einher, die zwar nicht neu ist, aber immer auffälliger in Erscheinung tritt. Ich habe den Eindruck, daß die subtile Fremdenfeindlichkeit in den letzten Jahren die Hemmschwelle überwunden hat und sich nun offen äußert.

Diese Äußerungen nehmen manchmal absurde Formen an. Eine Türkin erzählte mir, daß sie einmal von einer deutschen Frau beschimpft wurde, weil sie sich an der Bushaltestelle auf die Bank gesetzt hatte! Dazu hätte sie als Ausländerin kein Recht, meinte die Dame. Ich habe mich früher immer gegen fremdenfeindliche Äußerungen vehement zur Wehr gesetzt. Wenn zum Beispiel ausländische Kinder in der Straßenbahn zuviel Lärm machten und die Fahrgäste sie deswegen beschimpften – mir selbst kommt dieser Lärm eher wie Vogelgezwitscher vor –, habe ich die Kinder verteidigt. Heute habe ich nicht mehr den Mut dazu. Ich merke, daß ich Angst habe. Es könnte ja sein, daß einer mich physisch angreift. Das ist mir übrigens tatsächlich einmal passiert. Als ich einmal mit meinem zweijährigen Sohn im Park war und er spielend auf eine Sitzbank stieg, begann eine schicke Dame zu fluchen. Der Junge solle sofort mit seinen dreckigen Sandalen herunter von der Bank. Ich nahm keine Notiz davon. Nahm den Jungen, fütterte ihn. Als er danach wieder auf die Bank kletterte, sprang die Frau wütend auf. „Ich werde es Ihrem Gör zeigen!“ rief sie. Ich nahm das Kind schützend in den Arm. Plötzlich spürte ich einen Schlag auf den Kopf. Ein Mann eilte mir zu Hilfe. Andere Anwesende schauten unbeteiligt zu. Der Schlag war so erniedrigend, daß ich kaum ein Wort herausbrachte.

Das sind aber Fälle, die man nicht verallgemeinern kann.

Ja, Sie haben recht. Sie sind Extremfälle, gleichzeitig aber der Ausdruck einer weitverbreiteten Stimmung.

Schauen Sie, mein Mann ist Engländer. Wenn wir miteinander englisch sprechen, nimmt niemand daran Anstoß; sobald man mich aber türkisch sprechen hört, habe ich das Gefühl, daß man dies, juristisch ausgedrückt, wie die Erregung eines öffentlichen Ärgernisses empfindet. Früher haben sich die Leute zurückgehalten. Heute gehen die dummen Sprüche leichter über die Lippen.

Glauben Sie, daß das für Deutschland typisch ist?

Nein, aber eine solche Entwicklung gibt in Deutschland mehr als anderswo Anlaß zu Befürchtungen. Ich merke, daß die Blicke, die Gestik, die Sprache sich geändert haben. Ich fühle mich hier fremder als vor zehn Jahren.

Empfindet es Ihr Mann genauso?

Nein, im Gegenteil. Sein Ausländerdasein ist ein Privileg. Aber interessant ist: Wenn man uns zu dritt begegnet und uns englisch sprechen hört, ist man zu unserem Sohn sehr freundlich. Man fragt nach seinem Namen. „Koray“ ist doch kein englischer Name, stellt man verwundert fest. Nein, der Name ist türkisch, sagen wir. Und sofort entsteht eine Mauer. Wenn wir dann noch erzählen, daß er nicht dreisprachig, sondern erst einmal zweisprachig aufwächst, das heißt Türkisch und Englisch lernt, dann ist es ganz aus mit der Freundschaft. Auch das Ausländerprivileg meines Mannes wird nicht mehr wahrgenommen. Diese Reaktionen sind merkwürdig.

Doch ich möchte all dies nicht verallgemeinern. In meinem Beruf, unter Freunden und Bekannten, spüre ich kaum Aversionen. Ich glaube, daß die zunehmende Fremdenfeindlichkeit auf der Gegenseite eine Zunahme von Freundlichkeit erzeugt hat. Ich denke, daß auch wir Ausländer in den letzten Jahren unser Verhalten geändert haben. Auch wir sind empfindlicher und unsicherer geworden.

Das Gespräch führte

Bahman Nirumand