Drogen, einmal faktenreich und sachlich

■ Im Vergleich mit der Detailbesessenheit des Drogenjahrbuchs 1992 zeigen sich die Vorzüge der analytischen Schärfe des Buchs von Kai Ambos

Eine Lektüre „bisweilen spannend wie ein Krimi“ verspricht der dtv-Verlag auf der Buchrückseite des „Welt-Drogen-Berichtes“. Ein Krimi jedoch bedarf der minimalen Dramaturgie, und die kann und will das Jahrbuch 1992 des Observatoire Géopolitique des Drogues (OGD), ein unabhängiges Netzwerk von Drogenexperten auf der ganzen Welt, nicht bieten. Statt dessen ein Rundumschlag über vier Kontinente und 60 Staaten: Neben den großen Sieben der Kokain- und Heroinproduktion tauchen da auch auf den ersten Blick unscheinbarere Fälle auf: die wachsenden Verwicklungen in den internationalen Drogenhandel Indiens, Nigerias und Rußlands, die Rolle der Khat-Naturdroge in Somalia sowie des Heroin-Schmuggels im ehemaligen Jugoslawien und die vielfältigen Komplizenschaften in den Konsum- und Geldwäschehochburgen in Westeuropa wie auch den USA. Alle Berichte vereint eine Detailbesessenheit, auf deren Kosten die großen Zusammenhänge unterzugehen drohen. Dabei zeigen gerade die Länderberichte, daß die Drogenwirtschaft weltweit das gleiche Muster aufweist: Verarmte Bevölkerungsschichten produzieren Drogen, gewiefte Händler vertreiben sie, und alle – Konsumenten, Regierungen, Geheimdienste, Banken – profitieren davon. Auch die abschließende Diskussion zur Beziehung zwischen Drogen und regionalen Konflikten – Drogen können sowohl Kriege finanzieren als auch auslösen oder in Gang halten – kann die fehlende analytische Schärfe nicht wettmachen. Hierzu bedürfte es auch des Verzichts auf den moralisierenden Zeigefinger, der immerfort ein „energisches Vorgehen“ einklagt.

Weniger noch als das OGD hat Kai Ambos einen Krimi zu bieten – bei seiner Arbeit „Die Drogenkontrolle und ihre Probleme in Kolumbien, Peru und Bolivien“ handelt es sich um eine juristische Dissertation. Systematisch wird erst die weltweite Dimension des Kokainhandels und die allgemeine Koka-Kokainproblematik in den Andenstaaten und dann die dortige Gesetzgebung und deren Wirksamkeit erarbeitet. Alle ausschlaggebenden Aspekte des Koka-Kokain-Komplexes werden beleuchtet: die Kriminalisierung des jahrtausende alten Kokaanbaus und der heutige Drogenkonsum in den Andenstaaten, die ökonomische Bedeutung jenes „rezeptfreien Vitamins der Volkswirtschaft“ namens Narkodollar und die politischen Verstrickungen zwischen Staat, Aufständischen und Drogenhändlern und der immerhin „relative Erfolg“ kleiner lokaler Projekte zur Substitution der Koka mit legalen Anbauprodukten. Wo andere wagemutig mit Schätzungen, Gerüchten und Halbwahrheiten jonglieren, wägt Ambos vorsichtig ab, diskutiert und zieht stets mehrere Quellen heran.

Deutlich zeigt er das Fiasko der nun bald zwei Jahrzehnte andauernden Repression des Kokainhandels auf. Die gelegentlich von wackeren Drogenkämpfern präsentierten Erfolge brandmarkt er als „Pyrrhussiege vor dem Hintergrund eines einerseits gleichbleibenden Kokainflusses in den USA und eines andererseits sich auf Europa ausdehnenden Handels“. Naheliegend ist da der Schluß, daß die einzige Lösung der Drogenproblematik in einer „umfassenden Entkriminalisierung“ liege, die auf der einen Seite die Förderung des traditionellen Koka-Anbaus und auf der anderen die „kontrollierte Legalisierung“ des Kokainkonsums beinhalte. Gesundheitspolitischen Bedenken begegnet Ambos mit einem Szenario, in dem der Kokainvertrieb eventuell vom Staat selbst übernommen oder zumindest stark von ihm kontrolliert würde und jegliche Werbung sowie der Verkauf an Minderjährige verboten wäre. Die sicherlich auch dann noch agierende organisierte Kriminalität gelte es weiterhin zu bekämpfen – auch mit rechtsstaatlich bedenklichen Mitteln. Der Jurist befürwortet jedoch auch eine Amnestie für Drogenhändler. Derartige Vorschläge zeigen, daß Ambos sich nicht darauf beschränkt, die mittlerweile ausufernde Literatur zusammenzufassen, sondern auch eigene Diskussionsbeiträge liefert. Somit ist ihm über Deutschland hinaus eine der bislang wichtigsten Veröffentlichungen zum Thema gelungen. Ciro Krauthausen

Observatoire Géopolitique des Drogues (Hrsg.): „Der Welt-Drogen-Bericht“. dtv-Verlag, 24,90 DM

Kai Ambos: „Die Drogenkontrolle und ihre Probleme in Kolumbien, Peru und Bolivien“. Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, 39,80 DM