Polarisierung und Angst herrschen in Ruanda

■ Hält der Frieden noch? / „Die Hauptstadt kann jeden Moment explodieren“

Kigali (taz) – Ruandas Hauptstadt Kigali klirrt vor Waffen. Im Straßenbild sind nur wenige patrouillierende Soldaten zu sehen, aber die Folgen eines blühenden Schwarzmarktes mit Gewehren und Granaten sind spürbar: In der Hauptstadt des zentralafrikanischen Landes vergeht kaum ein Tag ohne Überfälle.

Oft sollen Militärs in die Verbrechen verwickelt sein. Seit 1991 hat sich ihre Zahl von ursprünglich 5.000 Soldaten fast verzehnfacht. Der Sold: Unterkunft, Verpflegung plus zwei Flaschen Bier am Tag. Steckt hinter den Überfällen nur Banditentum oder handelt es sich um politische Provokation?

Die Gerüchteküche brodelt. Am 4. August letzten Jahres war im tansanischen Arusha ein Friedensvertrag zwischen Ruandas Regierung und der Rebellenbewegung „Ruandische Patriotische Front“ (RPF) ausgehandelt worden, um den seit 1990 währenden Bürgerkrieg zu beenden. Die beiden Armeen sollten verschmolzen, eine gemeinsame Übergangsregierung unter dem Präsidenten Juvenal Habyarimana gebildet werden. Die Einhaltung des Abkommens wird von UNO-Truppen überwacht. Soweit die Theorie. Die Realität: Nur der ohnehin seit 1973 regierende Präsident ist am 5. Januar ordnungsgemäß vereidigt worden. Der für den selben Nachmittag vorgesehenen Vereidigung des Parlaments blieben die meisten Abgeordneten fern, ein Kabinett wurde bis heute nicht gebildet.

Hinter Formalstreitereien verbirgt sich die Machtfrage. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament darf den Präsidenten abwählen. Habyarimana versucht daher, sich eine Sperrminorität zu sichern. Ein möglicher Weg: Diese dem Präsidenten unabhängig von der Zusammensetzung des Parlaments zu garantieren. Damit aber ist die RPF nicht einverstanden. Jacques Bihuzagara, der designierte Vizepremier von der Ex- Guerilla: „Wir können nicht akzeptieren, daß der Präsident über dem Gesetz steht.“

Wie könnte ein Kompromiß aussehen? „Wir sehen da nicht weiter. Ich habe keine Antwort“, sagt der Habyarimana nahestehende Mugenzi von der Liberalen Partei (PL). Die PL ist selber in Freunde und Gegner Habyarimanas gespalten. Bihuzagara erklärt auf die Frage nach einem Kompromiß kühl: „Die Frage stellt sich nicht. Wir sind hier, den Vertrag von Arusha umzusetzen. Die Zeit für Verhandlungen ist vorbei.“

Ende Dezember kamen die ersten 600 RPF-Soldaten nach Kigali, zusammen mit den RPF-Politikern. Seither sitzen sie im alten Parlamentsgebäude ohne fließendes Wasser, geschützt von UNO- Soldaten – wie Gefangene in einer Stadt, in die sie zum Mitregieren gekommen sind. Mehrfach haben in den letzten Wochen vor dem RPF-Sitz Demonstrationen stattgefunden; Schüsse sind gefallen, es soll Tote gegeben haben. „Spontan“ nennt Kigalis Polizeipräfekt Tharcisse Renzaho diese Kundgebungen: Einwohner der Hauptstadt seien „mit heißen Köpfen“ auf die Straße gezogen, um gegen „Terror“ von RPF-Sympathisanten in Wohngebieten zu protestieren. Westliche Beobachter glauben dagegen, daß die Regierung die Aktionen steuert. So sieht das auch die RPF: „Die Demonstrationen und die Überfälle sind Teil einer Destabilisierungsstrategie“, sagt Bihuzagara.

Im herrschenden Klima des Mißrauens werden alte Denkmuster hervorgeholt. „Die RPF will die Macht für die Tutsi zurückerobern“, meine Präsidentenberater Juvenal Renzaho. Die feudalistisch organisierte Tutsi-Minderheit hatte jahrhundertelang die Hutu-Mehrheit beherrscht; anders als im südlichen Nachbarstaat Burundi konnten die Hutu jedoch diese Herrschaft abschütteln, Hunderttausende von Tutsi flohen ins Ausland. Die RPF-Invasion aus Uganda im Jahre 1990 hatte auch dem Ziel gedient, diesen Flüchtlingen nach Jahrzehnten im Exil die Heimkehr zu ermöglichen. Dies wurde auch im Abkommen von Arusha garantiert. Seit zwei Wochen werden an der Grenze zu Uganda spontane Einreisen von Rückkehrern registriert, angeblich bereits über 2.200 – eine große wirtschaftliche Belastung für das am dichtesten besiedelte Land Afrikas.

Unterdessen wird die Lage in Kigali immer bedrohlicher. „Die Stadt kann jeden Augenblick explodieren“, sagt Präsidentenberater Renzaho. Er verdächtigt die RPF, insgeheim den Sturm auf die Hauptstadt zu planen. Das hält der designierte Premierminister Faustin Twagiramungu für absurd: „Eine Wiederaufnahme des Kampfes wäre für die RPF beinahe eine Selbstmord.“ Twagiramungu, der weder zur Partei Habyarimanas noch zur RPF gehört, glaubt, der Partei des Präsidenten gehe es bei solchen Vorwürfen um etwas ganz anderes: „Sie wollen zurück an den Verhandlungstisch, um mehr herauszuholen.“

In Intellektuellenkreisen regt sich inzwischen Widerstand. „Beide Seiten wollen die Polarisierung“, meint Nkiko Nsengimana, koordinator eines Forschungszentrums. „Sie wollen der demokratischen Mitte keine Chance geben.“ So sehen das auch viele Ausländer. Ein UNO-Mitarbeiter: „Beide Seiten spielen mit dem Feuer.“ Bettina Gaus