Good Morning American Express

Knapp 20 Jahre hatten die USA ein Embargo gegen Vietnam verhängt. Clinton hat es jetzt aufgehoben. Endlich dürfen US–Firmen investieren.

Als der Journalist Nayan Chanda – wenige Tage nach dem Einmarsch der Kommunisten am 30. April 1975 – durch Saigon schlenderte, gelangte er auch zur verwaisten Botschaft der USA. Der Botschafter hatte noch ordnungsgemäß den star spangled banner eingeholt, bevor er sich mit den letzten Amerikanern in einem Hubschrauber aus dem Staube machte. Doch zu Chandas Verwunderung zierte den Bau nicht die Flagge der nationalen Befreiungsfront. Er habe den ausdrücklichen Befehl erhalten, die Fahne mit dem roten Stern nicht zu hissen, erklärte ein Wachsoldat. Es war eine wohldurchdachte Geste der siegreichen Kommunisten.

Das Politbüro der Kommunistischen Partei Vietnams in Hanoi war schon vor dem Ende des zweiten Indochina-Krieges zu der Einschätzung gelangt, daß für den Wiederaufbau des zerstörten Landes eine Normalisierung der Beziehungen zum Westen und besonders zu den USA unabdingbar war. Gut einen Monat nach Kriegsende forderte der nordvietnamesische Ministerpräsident Pham Van Dong die US-Regierung auf, die Beziehungen zu normalisieren und das Pariser Friedensabkommen zu ehren, indem die USA Wiederaufbauhilfe leisteten. Der Hinweis auf das Friedensabkommen basierte auf einem vertraulichen Brief Richard Nixons an Pham Van Dong. „Die Regierung der Vereinigten Staaten“, hatte der US-Präsident am 1. Februar 1973 zugesichert, „wird sich ohne jedwede politischen Bedingungen am Wiederaufbau Nordvietnams beteiligen.“ Nordvietnam werde Finanzhilfe in Höhe von 3,25 Milliarden Dollar sowie Waren im Wert von 1,5 Milliarden erhalten.

Um schnell an die versprochene Hilfe zu kommen, verzichteten die siegreichen Kommunisten auch darauf, von ihnen erbeutete CIA- Dokumente zu veröffentlichen. Sie luden Repräsentanten der Bank of America, First National City Bank und der großen US-Ölgesellschaften ein, um die Möglichkeiten der Kooperation zu sondieren. Doch die Eingeladenen wiesen die Offerte brüsk zurück. Die Amerikaner zeigten sich als denkbar schlechte Verlierer: Statt Wiederaufbauhilfe zu leisten, erließen Präsident Gerald Ford und sein Außenminister Henry Kissinger ein umfassendes Embargo gegen Vietnam und Kambodscha. „In Vietnam“, kommentierte Hoang Tung, Chefredakteur der Nhan Dan, diesen Schritt, „veranstalten wir bei festlichen Gelegenheiten Ringkämpfe, an deren Ende die Kontrahenten sich umarmen. Vietnam ist dazu bereit, aber Ford ist es nicht.“

Nicht nur die starken Männer in Washington wollten nach der traumatischen Niederlage in den Dschungeln Südostasiens vergessen und nicht vergeben. Nach der Freilassung von neun amerikanischen Kriegsgefangenen gestattete Kissinger im November 1975 wenigstens karitativen Organisationen, Hilfsgüter in das verwüstete Vietnam zu liefern. Wenn die Regierungen Indochinas bei der Aufklärung des Schicksals von 832 Soldaten, die als MIA (missed in action) galten, kooperierten, würde man sich erkenntlich zeigen. Ein „lobenswerter Anfang“, kommentierte die New York Times diesen Schritt, „aber es ist noch ein langer Weg zu gehen“.

Dafür, daß es bald zwanzig Jahre dauern sollte, tragen auch die vietnamesischen Kommunisten selbst einen Teil der Verantwortung. Sie kolonialisierten den Süden mit brachialer Entschlossenheit. An die 200.000 Menschen wurden in Umerziehungslager deportiert. Als die Führung in Hanoi sich immer enger mit der Sowjetunion liierte und die Beziehungen zu China sich dementsprechend verschlechterten, starteten Kampagnen gegen die in Vietnam lebenden Chinesen, von denen viele als Boat people flüchteten. Als schließlich die vietnamesische Volksarmee Ende 1978 in Kambodscha einmarschierte und Pol Pot stürzte, folgten auch die meisten westeuropäischen Länder, darunter die BRD, den USA und verhängten ein Embargo.

Die strikte Embargopolitik war indes in Washington nicht unumstritten. Die Vietnamesen hatten große Hoffnungen auf Jimmy Carter gesetzt, und in dessen Administration entwickelte sich auch ein zäher Kampf: Während Außenminister Cyrus Vance und der derzeitige US-Botschafter in Bonn, Richard Holbrooke, für einen Ausgleich mit Vietnam eintraten, wollte der Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski unbedingt die Normalisierung mit Peking einleiten, um die chinesische Karte gegen die Sowjetunion und Vietnam zu spielen. Brzezinski setzte sich durch, und als Deng Xiaoping Anfang 1979 die USA besuchte, bekam er als geheimes Gastgeschenk Satellitenfotos überreicht, mit denen die Chinesen ihren Vergeltungsfeldzug gegen Vietnam, für den Einmarsch in Kambodscha, besser planen konnten. — Während unter Ronald Reagan und George Bush die US Army in „Rambo“ und zahllosen anderen Filmen den Krieg in Indochina nachträglich gewann, war an eine Versöhnung nicht zu denken. Auch nachdem die vietnamesische Armee vollständig aus Kambodscha abgezogen war, gruben die Kalten Krieger im Weißen Haus das Thema der verschwundenen US-Soldaten wieder aus, um an dem Embargo festzuhalten.

Gestern nun hat Präsident Bill Clinton, der bekanntlich in seinem Vorleben auch gegen den Vietnamkrieg protestiert hat, den längst überfälligen Schritt vollzogen. Daß er dies tun konnte, hat allerdings nichts mit Reue oder einem Willen zur Versöhnung zu tun. Vielmehr fürchteten große amerikanische Firmen, daß ihnen ein zunehmend lukrativer Markt und Investitionsmöglichkeiten vor allem an die japanische Konkurrenz verlorengehen würden. Wahrlich eine traumatische Vorstellung. Michael Sontheimer