„Wie bewerbe ich mich?“

■ Das Waller „RAZ“ bietet Schülern Berufsorientierung und Hilfe bei der Stellensuche

Eigentlich wäre heute ein normaler Schultag, aber die SchülerInnen einer 9. Hauptschulklasse der Helgoländer Schule in Walle sind alle bei der RAZ. RAZ heißt „Ran an die Zukunft“ und ist ein Berufsorientierungsprojekt, das die Immanuel-Gemeinde in Zusammenarbeit mit zwei Waller Schulen anbietet. In wohlüberlegter Absicht finden die drei Projekttage in den Räumen der evangelischen Gemeinde statt, mit der netten Sozialpädagogin Anja Beutin (28), und nicht etwa im schulischen Arbeitslehreunterricht. Die SchülerInnen sind hier viel offener und sollen außerdem für mögliche spätere Berufsprobleme eine Anlaufstelle bei der RAZ haben.

„Oft kommen sie: Hilfe, ich habe morgen mein Vorstellungsgespräch, was muß ich noch mal tun?“ sagt Anja Beutin. „Dann trinken wir einen Kaffee und besprechen alles.“ Die Stimmung am heutigen zweiten Tag des Projektes ist gut. Die Jugendlichen haben sich so angezogen, wie sie es für ein echtes Bewerbungsgespräch tun würden. Viele Jungs tragen knallweiße Hemden und Schlipse, einige haben den Konfirmationsanzug herausgeholt. Gerade hat die Klassenlehrerin Berwerbungsphotos gemacht, und jetzt wird die „Bewerbungs-Gesprächs-Maschine“ angeworfen. Auf großen Papptafeln mit Haltestiel stehen mögliche Fragen und Antworten eines Bewerbungsgespräches. Abwechselnd halten Bianca und Nico als Jobsuchende und Ismael und Martin als Chefs Tafeln ihrer Wahl hoch. „Ich komme wegen der Lehrstelle.“ - „Schön, was haben sie denn zu bieten?“ - „Was muß ich denn hier tun?“ - „Das kommt darauf an.“ - „Blödmann!“ Alle lachen, und anschließend wird besprochen, wie man sich in Wirklichkeit bei der Lehrstellensuche möglichst geschickt verhält.

Seit 1989 gibt es RAZ-Projekte in den vier von Arbeitslosigkeit besonders bedrohten Stadtteilen, Walle, Gröpelingen, Bremen Nord und Sebalsbrück (dort ist auch das dazugehörige beliebte Jugendcafe „Compakt“). Die jeweiligen Sozialpädagoginnen, welche im Rahmen des Arbeitslosenprogramms bei den Kirchengemeinden angestellt sind, nehmen Kontakt zu den Lehrern von Haupt- und Sonderschulklassen auf und stellen sich den SchülerInnen vor. In und nach der 9. Klasse beginnt für diese ja der „Ernst des Lebens“ und die Qual der richtigen Berufswahl. Während der Projekttage, die möglichst in Zusammenhang mit dem obligatorischen Praktikum stehen, sollen die Jugendlichen spielerisch in Kleingruppen ihre Wünsche mit der harten Realität abgleichen: „Reicht mein Abschluß?“ - „Halte ich 30 bis 40 Bewerbungen durch?“ - „Wie möchte ich überhaupt leben?“

Dabei will RAZ nicht in Konkurrenz zur Berufsberatung des Arbeitsamtes treten. „Wir sind Mitsuchende auf dem Weg“, sagt Anja Beutin, „also darf es ruhig auch erst mal in eine unrealistische Richtung gehen.“

RAZ bietet auch eine kostenlose Hausaufgabenhilfe an, die gerne genutzt wird, wenn SchülerInnen erkennen, daß sie mit ihren bisherigen Noten wenig Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Oft werden diese Nachhilfestunden zu Gesprächen über die Familie, Schule, Freunde, über das Leben.

Sechs bis sieben SchülerInnen pro Klasse kommen auch nach der Schulzeit wieder, wenn sie ihre Lehre abbrechen wollen, wenn sie Beratung für den schriftlichen Lebenslauf brauchen, wenn sie mit dem Chef nicht klarkommen. Durch Mundpropaganda spricht sich die Adresse rum. Gerade die ausländischen Jugendlichen sollten sich an RAZ wenden. In vielen ihrer Familien ist nicht klar, wie wichtig eine abgeschlossene Ausbildung ist, so viel wichtiger, als zum Beispiel im Familiengeschäft mitzuarbeiten.

Die Neuntklässler aus der Helgoländer Schule haben jetzt eine Mappe, in der sie Schritt für Schritt alle wichtigen Hilfestellungen für eine vernünftige Bewerbung finden. Und die Visitenkarte von Anja Beutin: Evangelische Gemeinden Immanuel und Walle, Elisabethstraße 17/18. Telefon 38 16 15

Cornelia Kurth