: Rock'n Roll im Rollstuhl
■ Neu in Bremen: Rollstuhltanz für GeherInnen und RollstuhlfahrerInnen
Tanzen ist Lebensfreude. Das Paar, das in schönen harmonisch fließenden Bewegungen zum Walzer über den Boden gleitet, strahlt es aus. Sie lachen einander an, ihre Augen glänzen. Bei manchen Figuren sehen sie noch angestrengt aus. Sie sind AnfängerInnen. Mit ein bißchen Übung werden sie bald einen schmissigen Foxtrot, Jive, Tango oder Rock'n Roll auf–s Parkett legen. Doch noch sind die Paare nicht vollständig: Es werden noch GeherInnen gesucht. Die engagierten TänzerInnen tanzen ihren Part nämlich im Rollstuhl, in einer für Bremen derzeit noch einmaligen Tanzgruppe.
Auch die GeherInnen müssen sich am Anfang einmal in den Rollstuhl setzen. „Sie müssen wissen, wie sich der Rollstuhl bewegen kann, und wie viel Widerstand der Rollstuhlfahrer entgegensetzten muß,“ erklärt die Kursleiterin. Den roten Kopf vergißt die Geherin bald, für Unsicherheiten bleibt keine Zeit: „Machen sie den Oberkörper steif, damit ich sie rumschieben kann... nun drücken Sie mit den Armen entgegen...“ Was auf den ersten Blick aussieht wie ein Herumzerren an den RollstuhlfahrerInnen, ist für sie genauso hartes Training wie für die GeherInnen. Nur im Zusammenspiel des Tanzpaares zwischen Schieben, Gegendrücken und Ziehen gelingt die Drehung beim Walzer im richtigen Moment.
„Guck mal, es geht! Man kann mit einer Hand in der Luft eine ganze Drehung machen“, sagt Marco Blöhe. Er kann „mal gerade einen Walzer von einem Foxtrot unterscheiden“, doch die Standardtänze findet er „schick“. In seinem Sportrollstuhl jiven und swingen seine Räder leicht um jede Kurve.
Die Kursleiterin Petra Diefenbach ist Krankengymnastin und tanzt gern. Als sie letztes Jahr in einem Magazin über Rollstuhltanz las, fuhr sie sofort zu einem Lehrgang nach München. Dort wurde der Rollstuhltanz schon wor 20 Jahren von Doktor Gertrude Krombholz an der Universität München entwickelt. Kursleiterin Diefenbach zeigt auf einer Videoaufnahme wie ein Tanzpaar bei den Europäischen Meisterschaften eine rasante Polka tanzt. Der Rollstuhl macht kurze, ruckartige Bewegungen; zum Schluß schwingt die Geherin ihr Bein über den Kopf des Mannes hinweg. „Irre!“, finden die Bremer RollstuhlfahrerInnen und GeherInnen.
Was Petra Diefenbach in ihrem Kurs gelernt hat, will sie nun in Bremen verwirklichen. Am besten ginge das freilich mit einer „richtigen Tanzlehrerin“: „Die Tanzlehrer haben die Schritte drauf. Wenn sie einmal kapiert haben, worauf es beim Rollstuhltanz ankommt, können sie es besser umsetzten als ich“, sagt sie. Die seitlichen Bewegungen vom Fox zum Beispiel, sind mit einem Rollstuhl gar nicht auszuführen. „Da kommt man unter die Räder.“ Da sind alternative Bewegungen gefragt.
„Wenn ich mir auf dem Video längere Zeit die Tänze anschaue, sehe ich den Rollstuhl gar nicht mehr“, sagt Kursleiterin Diefenbach. „Und ich guck vor allem auf die Räder“, sagt Marco Blöhe, „um die Bewegungen nachvollziehen zu können“. So bleibt die Sichtweise der TanzpartnerInnen unterschiedlich. Doch das Wesentliche ist, daß sie etwas gemeinsam tun können: „Die meisten Geher denken doch, daß man mit einem Rollstuhlfahrer nichts machen kann“, sagt Natalie Naundorf.
Die RollstuhlfahrerInnen würden sich wünschen, daß sie irgendwann feste Paare mit den GeherInnen bilden könnten, denn wie immer beim Tanzen ist es leichter wenn man aufeinander eingestellt ist. „Die Geher müssen einfach nur Spaß mitbringen und ein bißchen Experimentierfreudig sein, und keine Angst vor Rollstuhlfahrern haben“, sagt Petra Diefenbach. „Dann werden sie schon sehen, daß es viel Freude bringt und blaue Flecken“, lacht Marco Blöhe und wirbelt in die Pirouette.
Vivianne Agena
Anmeldungen (vor allem von GeherInnen!): Petra Diefenbach, Tel.: 2383368
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen