Sanssouci
: Vorschlag

■ Little Jewish Man: David Tabatsky im Scheinbar-Varieté

Foto: Günter Linke

Alice im Wunderland hat ein klares Rezept, wie man Geschichten erzählt: „Fang am Anfang an und fahr fort, bis du am Ende bist. Dann hör auf.“ David Tabatsky, jüdischer Amerikaner in Berlin, beginnt seine Lebensbeichte „How I Survived My Jewish Mother“ sicherheitshalber gleich bei der Geburt. Aber schon vor der Bar-Mizwa verliert sich sein roter Faden rettungslos in einem Knäuel unentwirrbarer Geschichten. Da ist die lockende Frauenstimme vom Tonband, die den liebeskranken David in eine Therapie beim eigenen Ich treibt. Da ist die Wagnerianerin, die ihren „Little Jewish Man“ mit erotischen Angeboten verfolgt. Und ständig hängt die jiddische Mamme am Telefon. Angesichts dieser Verwirrung kann sich der Erzähler nur noch hilflos die blonde Lockenpracht aus dem enorm verwandlungsfähigen Gesicht schütteln: Das zahnlose Greinen der Mutter, deren Sohn sich in eine Schickse verliebt hat, kann urplötzlich umschlagen in eine strenge deutsche Beamtenmiene oder in das angestrengte Lauschen der schwerhörigen Großmutter.

Wer so viele Identitäten verkörpert, hat natürlich Schwierigkeiten mit der eigenen, jüdischen. Da kann David noch so oft nach Jerusalem fahren, „to do the Jewish identity thing“ – seinen Verwandten in New Jersey ist er noch lange nicht jüdisch genug; schon daß er in Deutschland lebt...! Und für Berlin ist er zu jüdisch, denn die Deutschen wollen ihm entweder Geld schenken oder prüfen, ob seine Nase echt ist. So wird Davids Adresse vermutlich immer „Berlin, Sackgasse“ bleiben. Manche seiner verknäulten Geschichten ziehen sich allzusehr in die Länge. Aber Tabatsky beherrscht die Kunst, ein langsam einnickendes Publikum in Sekundenschnelle wieder hellwach zu kriegen. So einschläfernd ausführlich er auch, im Badezimmer der Wagnerianerin, über seine Potenz monologisiert – alles wird wieder gut, wenn er völlig überraschend anfängt zu jonglieren.

Am Ende seiner chaotischen Entwicklungsgeschichte hält sich der Erzähler plötzlich wieder an Alices Rezept. Er hört einfach auf und verschwindet spurlos. Das Schlußwort bleibt seinem Anrufbeantworter überlassen. Miriam Hoffmeyer

Bis 22.2. jeden Montag und Dienstag, 21 Uhr, Scheinbar, Monumentenstraße 9, Schöneberg.