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Abenteuer Trümmerberg

■ Probekochen mit sieben Gramm Fett in der Ausstellung „Kinder nach dem Krieg“ im Kreuzberg-Museum

Auf dem rasant abfallenden Holzpodest kommt die gute alte Seifenkiste noch einmal zu neuen Ehren. An der rot-weißen Lackierung hat der Zahn der Zeit höchstens mal geknabbert. Doch ihre tollkühnen Tage sind lange vorbei. 1949 war es, als das Siegergefährt schnittig die Zielkurve auf dem Mehringdamm nahm, das Lenkrad scharf rechts eingeschlagen. Heute ist sie das Vorzeigestück der Ausstellung „Kinder nach dem Krieg“, im Kreuzberg-Museum.

Zigarettenschachteln-Quartett und abgewetzte Aluminium-Autos aus Gerümpelbeständen Kreuzberger Speicher sollen die Zeit zwischen Rosinenbombern und Wirtschaftswunder noch einmal lebendig machen. Keine nüchterne Dokumentation, sondern Alltagsgeschichte im privaten Duktus der Nachbarschaftshistorie. Auf Texttafeln wird über Landverschickungen, Schlüsselkinder, hippe Haarschnitte und beliebte Kinderkleidung geplaudert, als stammten die Ausstellungsstücke aus einem politisch unbeleckten Spielzeugland. Ein gutgemeinter, aber kontextblinder Blick zurück in jene Tage, als die Lederhose ihre roten Herztaschen noch auf dem rechten Fleck hatte.

Da erzählen Text und Fotografien von den kinderfreundlichen Spielstraßen 1945 (115 gemeldete Autos in Berlin) und davon, daß Trümmerberge sich als Abenteuerspielplätze zunehmender Beliebtheit erfreuten, während ausgebombte Häuser völlig out waren. Was im oberen Stockwerk durch den Charme der Kindheitserinnerung noch halbwegs versöhnen mag, gerät treppab zum Ärgernis. Erinnerungen von zehn Kreuzbergern rund um „Trümmer, Brot und Träume“ führen im hastigen Stolperschritt vom Bombenhagel zum Mauerbau. Unvermittelt steht der Ausstellungsbesucher im Luftschutzkeller, schaut auf graue Decken und hastig zusammengepackte Koffer. Kriegsende 1945, Minuten vor der Stunde Null. Nicht einmal eine winzige Notiz erinnert an die „tausend Jahre“, die Trümmerschutt und Hungermahl vorausgingen. Statt dessen schaudert die Besucherin mit der damals 15jährigen Ethel vor den russischen Racheengeln und bangt mit der 26 Jahre alten Gisela um ihren Arbeitsplatz bei „Anzeigen Gerlach“. Die hatte es als ehemals Parteiaktive während der Besatzungzeit bei den Behörden nicht leicht. Schwer war auch die Straf-Schinderei als „Kohlentransportarbeiterin“. Verwirrend nur, daß die Aussteller diese halbjährige Episode im Leben der Gisela in die Rubrik „Zwangsarbeit“ einsortieren – als einziges Beispiel. Gleich nebenan zeugt ein Schild auf unbeabsichtigt zynische Weise vom ungebrochenen deutschen Reinheitswillen: „Knochensammlung – Gegen Abgabe von 3 kg Knochen 1 Gutschein für 1 Stück Kernseife“. Die praktischen Erfahrungen von Auschwitz halfen auch in der Not.

Familienalben lügen nicht: bei Onkel und Tante in Mecklenburg, das erste Klassenfoto nach dem Kriege, der erste Schmalhans- Herd, Schwarzmarkthandel als postfaschistische Privateskapade, Kältewinter und durchhungerte Sommerfrische. Das Leben, so die unfreiwillig obszöne Botschaft, ging weiter. „Wir wollen nur subjektive Eindrücke vermitteln und kein vollständiges historisches Bild widerspiegeln“, sagt Ingrid Massenbach. Zusammen mit dem Nachbarschaftsheim Urbanstraße und dem Arbeitskreis „Wohnen und Leben in Kreuzberg früher und heute“ hat sie die privaten Erinnerungen archiviert und aufbereitet. Lebensläufe zum Staunen und Wiedererkennen.

Die Nostalgieschau treibt nicht nur verzeihliche und unverzeihliche Stilblüten, sondern versteigt sich in den ausstellungsbegleitenden Veranstaltungen zu gedankenlosem Tand. Die Senioren-Theatergruppe aus der Urbanstraße gibt die selbstkreierten Stücke „Schwarzmarkt-Szene“ und „War es früher besser?“ zum besten. Mit sieben Gramm Fett, 20 Gramm Fleisch und einer Handvoll Kartoffeln wartet das Kochstudio des Museums demnächst auf Schüler, die in einem Kursus von Zeitzeugen lernen, wie man mit diesen Tages- bzw. Monatsrationen ein raffiniertes „typisches Nachkriegsgericht“ auf die Teller zaubert. Über der authentischen Kochstelle prangen im akkuraten Kreuzstich ewig güldene Worte: „Halte blank Tisch und Schrank.“ Birgit Glombitza

Bis 15.3, Mi.–So. 14–18 Uhr, Kreuzberg-Museum, Adalbertstraße 95/96.

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