Zart, nicht niedlich

Der Worterotiker Francis Ponge seift uns sanft ein – bis zum Orgasmus. Mit Texten zur Brombeere, zum Kieselstein oder zum Stück Fleisch  ■ Von Martin Pesch

„Was die einfachsten Dinge angeht, so ist dazu, wie mir scheint, sehr vieles noch zu sagen.“

Francis Ponge hat, nachdem er dies 1933 äußerte, bis zu seinem Tod im Jahr 1988 noch sehr viel zu den „einfachsten Dingen“ gesagt. Es begann mit kurzen Texten etwa zu den Brombeeren, zur Kerze oder zum Stück Fleisch. Danach wurde es komplizierter. Obwohl die Sujets einfach blieben, lösten sich die Texte auf. Ponge wollte die Dinge nicht in der Sprache aufgehen lassen, sondern ihnen sprachlich das Recht auf eine aufmerksame Betrachtung erweisen.

Die Titel dieser Texte zeigen schon ihren Versuchs- und Prozeßcharakter: „Das Notizbuch vom Kiefernwald“ (Suhrkamp, 1982), „Einführung in den Kieselstein“ (Fischer, 1986), „Kleine Suite des Vivarais“ (Residenz, 1988). 1977 erschien eine zweihundert Seiten lange Textsammlung zur Feige. Von diesem Buch ist nur ein zweiseitiger Ausschnitt ins Deutsche übersetzt. Im deutschen Sprachraum führen die Schriften Ponges ein Schattendasein, obwohl so namhafte Übersetzer wie Peter Handke und Felix Philip Ingold ihnen ihre Stimme liehen.

Francis Ponge begann 1942 an dem vorliegenden Buch zu schreiben; er war auf der Flucht vor den Nazis und deren französischen Freunden. Mit Orts- und Datumsangabe versehene Notizen, Entwürfe, Briefe und Um-Schreibungen (zum Beispiel wird aus dem Prosatext zwischenzeitlich ein Einakter) münden in so etwas wie ein Resultat: dreißig Seiten lang die Seife von ihrem trockenen Zustand bis zum Abspülen von den Händen. Aber auch dieser 1946 endlich zustande gebrachte Text ist vorläufig, ist lediglich eine „Seifenübung“. Ponge scheut sich nicht, uns Wiederholungen vorzusetzen. Das Repetieren von Satz- und Sinnfragmenten macht die Arbeit an Präzision und Musikalität sichtbar. Julio Cortázar wußte das einmal folgendermaßen zu würdigen: „...ich sah ihre gebräunten Schenkel, die leger und präzis zugleich waren, so wie der Stil von Francis Ponge...“

Ponge selber sagte von sich: „Denn auf diese Art und Weise arbeite ich nun mal, so bilden sich in mir Vorstellungen, so entfaltet sich der Gedanke; und man muß doch – das werden Sie mir zugestehen – ehrlich sein; man darf doch beim Denken nicht mogeln.“

Ponge mogelt nicht; er legt die Karten auf den Tisch und sagt alles, was er zu sagen hat. In diesem offenherzigen Zeigen des Schreibprozesses wird die Grenze zwischen Poesie und Poetologie verwischt. Die Seife ist dafür natürlich das bestmögliche Sujet: „Es läßt sich natürlich viel über die Seife sagen. Buchstäblich alles, was sie selbst von sich sagt, bis zur völligen Auflösung. (...) Sehr gut. Das erfüllt genau meinen Zweck. Das genügt mir. Und was könnte schon genügen. Haben Sie einmal von der Entsprechung von Inhalt und Form gehört?“

Niedlich oder liebenswürdig ist das ganze übrigens nicht. Ponges Rückzug zum vermeintlich Privaten folgt dem Bewußtsein, daß selbst das Sprechen über die Seife im öffentlichsten Raum stattfindet, den man sich denken kann, nämlich der Sprache. Ponge macht seine Sprachkritik an den alltäglichsten Dingen fest. Im Gegensatz zum Verfahren der Konkreten Poesie ist Sprachkritik bei ihm immer Kritik der Wahrnehmung.

Daß man sich nach der Lektüre der „Seife“ mit anderen Augen die Hände waschen wird, trägt eben nicht nur zu einer Ästhetisierung des Alltags bei (falls man sich daraus etwas macht), sondern es werden die Sinn-Gehalte der alltäglichen Verrichtungen unter ihrem sprachlichen Ballast hervorgezerrt: Kritik der Wahrnehmung ist bei Ponge also auch Ideologiekritik.

Wie ernst es ihm damit war, steht auch in der „Seife“. Seine Abkehr von der französischen KP, deren Mitglied er war, fällt in die Zeit der Entstehung dieses Buches. „Das Schöne und das Zarte“, Werte, die er nicht nur als solche, sondern als eine Haltung anderen gegenüber betrachtete, hatten keinen Platz mehr in den „Direktiven meiner Zuständigkeit“ – so heißt es in einem der eingestreuten Kommentare.

Und diese Kommentare? Führen sie eigentlich jenes traditionelle Versprechen mit sich, aufzuklären über das, was eigentlich gemeint ist? Das tun sie nicht. Sie stehen mitten in der Struktur der Wiederholung, durch die Ponge sein Thema zu fassen versucht. Die Ordnung der Dinge ist nicht mehr die alte, wenn die bezeichnenden Worte keine Gewähr mehr bieten für die Sicherheit des eigenen Standpunktes in der Welt. Gut zu verfolgen ist dies an den fünf „Anhängen“, die dem eigentlichen Text folgen. Sie wurden 1964/65 verfaßt – da lag „Die Seife“ schon zwanzig Jahre in der Schublade. Sie enthalten poetologische Reflexionen, neue Variationen zum Thema und auch das „Ende des Buches“.

Ponge führt an ihm die „Moral des Objoie“ ein, das heißt, er hat sie schon in der Kreation dieses Wortes gefunden. Was darin als Objekt, Auge, Freude, Spiel herumflirrt, erzählt von jener Maxime der Aufmerksamkeit, die das andere verdient. Und dieses andere? Wie steht es mit ihm in diesem Buch, das aus Anlaß der Seife geschrieben wurde? Die Aufmerksamkeit, die Ponge diesem Gegenstand widmet, verallgemeinert er in einem mehr als poetologischen Sinn, denn das Schreiben wird von ihm als eine Berührung verstanden, die keinen Vorbehalt kennt: „So muß man sich die Schrift denken: nicht als Transkription einer (äußeren oder vorgefaßten) Idee, nach einem konventionellen Code, sondern wirklich wie einen Orgasmus: wie den Orgasmus eines Wesens, oder sagen wir einer Struktur, die als solche natürlich durchaus konventionell ist – die aber, um sich zu vollenden, sich jubelnd als solche geben muß: mit einem Wort, sich selbst bezeichnend.“

Die Tatsache, daß im selben Jahr, in dem „Die Seife“ veröffentlicht wird, auch Jacques Derridas „Grammatologie“ erscheint, kann man als schönen, aber sinnreichen Zufall der Geistesgeschichte auffassen.

Francis Ponge: „Die Seife“. Aus dem Französischen von Maria Bosse-Sporleder, Suhrkamp Verlag, 120 Seiten, 18.80 DM