Post-Kasten-Gefühle

■ Damien Hirst konserviert Haie und Kälber, und die Kunstwelt freut sich.

An manchen Tagen hat man das Gefühl, das Ende der Avantgarde werde überbewertet. Dabei geht doch vielmehr nichts verloren – die Picassos hängen in den Museen, Beuys wird privat gesammelt, über Duchamp zerbrechen sich KunsthistorikerInnen den Kopf, von Warhol gibt es jede Menge Postkarten und Poster. Man muß nur anknüpfen können. So ähnlich wird auch Damien Hirst gedacht haben, als er seine ersten Schau-Vitrinen mit Kuhschädeln, Arzneimitteln und Fischen gefüllt hat.

Minimal-artige Boxen aus Glas und Stahl, Bauhaus-Container, in denen allerlei Komplexitäten eingeschlossen wurden: Geschichten von Frauen etwa, die beim Versuch zu fliegen hoffnungslos an den Wänden ihres gläsernen Käfigs zerplatzen, dazu Blutspritzer an den Glaswänden und ein Goldfischweibchen, das einsam seine Kreise zieht. „Thousand Years“ war dem stumpfen Kreislauf des Lebens gewidmet: Frisch geschlüpfte Fleischfliegen nagen an einem verwesenden Kuhschädel, während über ihnen schon der Tod in Form einer elektrisch surrenden Fliegenfalle lauert.

Zuletzt zeigte Hirst den Künstler als Produzenten – ein verwaister Schreibtischstuhl am weißen Zeichentisch mit einer Schachtel Zigaretten darauf: „The Acquired Inability to Escape“, so der Titel dieser Installation. Das war im Jahr 1991, als Damien Hirst, 1965 in Bristol geboren und kaum der schützenden Kunsthochschule entronnen, die erste Solo-Ausstellung im renommierten Londoner ICA hinter sich hatte.

Dann kamen die toten Fische. Erst kleine, eingegossene Tiere, jedes für sich isoliert „wie Menschen“ (so Hirst) in dieselbe Richtung schwimmend, und später der monströse Hai, mit dem Hirst gleichermaßen für Kritiker und Kuratoren zum neuen Post-Concept- art-Superstar avancierte. Jeffrey Deitch übernahm die Medikamenten-Schränke für seine „Post Human“-Schau, Saatchi & Saatchi kauften den Kuhschädel und Weckgläser mit Innereien, und selbst die Tate Gallery hat sich eine der Schauer-Vitrinen von Hirst zwischen die Bilder Blakes und Turners gestellt.

Inzwischen kann Hirst einlegen, was er will – jedesmal kommt noch ein wenig mehr Kunst dabei heraus. Bei der Biennale in Venedig ließ er zur begleitenden Aperto- Show eine Kuh nebst Kalb mit der Kettensäge halbieren, sperrte die Hälften in jeweils zwei Glaskästen und stellte das Massaker in Anlehnung an Marien-Darstellungen als „Mother and Child (divided)“ aus.

Nur scheinbar ist seine Berliner Arbeit – eine rotierende Malmaschine, die Bilder durch Beschleunigung auswirft – ein Rückzug von der Spektakelebene. Die Zwanghaftigkeit, mit der die Apparatur „Beautiful Drawings“ produziert, symbolisiert den erstarrten Horror der Schlachteplatten hinter Glas nur auf sehr viel subtilere Weise: am Ende werden Kunst und Leben miteinander zwar nicht ein-, doch angeschlossen. Im Sommer sollen Kinder damit auf Straßenfesten spielen können. Man zeigt wieder Gefühle – im Malkasten. hf