■ Das Portrait
: Pierre Brice

„Er ist dahingegangen ... Aber er soll nur körperlich gestorben sein und hier in diesen Blättern fortleben, wie er in meiner Seele lebt, er, Winnetou der große Häuptling der Apachen.“ Was Karl May, als er 1892 diese Zeilen schrieb, nicht ahnen konnte, war, daß die absolute Lichtgestalt seines an Heldenfiguren nicht armen Werkes 70 Jahre später ihren Körper zurückbekommen sollte. Als der Franzose Pierre Louis de Bris 1962 für den Film „Schatz im Silbersee“ in die Rolle des edlen Musterindianers schlüpfte, waren sich die Karl-May- Verschlinger aller Länder einig: So hatten sie sich Winnetou immer vorgestellt.

Mehr als zehn Jahre lang hatte der am 6. Februar 1929 in Brest geborene Pierre Brice nach seiner Zeit bei der Marine als Fotomodell, Tänzer und Nebendarsteller ein kärgliches Künstlerleben gefristet, mit Winnetou fand er seine Bestimmung. Bei gelegentlichen halbherzigen Versuchen, der neuen Identität durch andere Filmrollen oder die Mitwirkung in televisionären Mißbehaglichkeiten wie „Traumschiff“ oder „Schloß am Wörthersee“ zu entrinnen, wirkte er etwa so wie Winnetou mit dunkler Weste und Zylinderhut bei seinem berühmten Besuch in Radebeul: „Ein schwarzer Panther im Schafspelz.“

Genausowenig wie Brice dem Winnetou, konnte Winnetou dem Brice entrinnen. Wo immer der Apache gebraucht wurde, war der Franzose zur Stelle: neun Filme, Schallplatten („Ribanna“), Karl-May-Festspiele in Elspe (1976 bis 1986), eine Fernsehserie (1977). Noch im zarten Alter von 62 Jahren verkörperte er den Jüngling vom Rio Pecos bei den Festspielen in Bad Segeberg, nachdem die Fans seinen Abschied mit Spruchbändern wie „Wir wollen ohne Dich nicht leben, Pierre“ sabotiert hatten.

Winnetous zweite Inkarnation wurde 65 Foto: Kövesdi

Willig fügte sich Pierre Brice in sein Schicksal, identifizierte sich immer mehr mit Winnetou, schrieb selbst Texte und Drehbücher im Geiste Karl Mays, wobei er dessen etwas verquaste Friedensmystik dankbar übernahm. Einige Aspekte seiner alten Persönlichkeit konnte er jedoch auch ins Winnetou- Dasein retten. „Ich trinke Rotwein, esse gut und koche leidenschaftlich gern“, lüftete er das Geheimnis seines betörenden Aussehens. Drei Dinge, mit denen Winnetou nun wahrhaftig nichts am blauschwarzen Schopf hatte. Matti Lieske