Eine neue Runde in der Interventionsdebatte

■ Luftangriffe gegen serbische Stellungen machen vor allem psychologisch Sinn

Hätte es nicht so viele Opfer gegeben, der Vorfall in Sarajevo wäre wohl unter den üblichen Tagesmeldungen untergegangen. Denn der Beschuß mit Artillerie gehört zu den täglichen Lebensumständen in der bosnisch-herzegowinischen Hauptstadt. Mit dem Angriff serbischer Artillerie auf den Marktplatz der Stadt ist jetzt die Diskussion um die Luftangriffe auf die serbischen Stellungen zumindest in den USA wieder aufgeflammt. Es zeigt sich aber sogleich, daß die Behauptung der serbischen Seite, es handele sich bei der Explosion um eine von der bosnischen Seite provozierte Aktion, begierig von jenen aufgegriffen wird, die versuchen wollen, eine militärische Aktion der Nato im Auftrag der UNO zur Beendigung des Krieges in Bosnien zu verhindern. Diese Behauptung, so absurd sie ist, dient als Folie, um durch die Installierung einer „Untersuchungskommission“ erst einmal Zeit zu gewinnen. UN-Generalsekretär Butros Ghali beauftragte den ehemaligen Oberkommandierenden der UNO-Truppen in Ex- Jugoslawien, General Jean Cot, mit dieser Mission.

Doch er wird kaum mehr berichten können, als er und die UNO-Truppen vor Ort schon wissen. Der in der Altstadt gelegene Marktplatz ist aufgrund seiner Lage (siehe Skizze etwas oberhalb Trebevic) von den umliegenden Hügeln (Jahorina) aus einsehbar und deshalb gegen serbische Artillerie nicht geschützt. Über eine Granate vom Kaliber 120 mm, durch die das Massaker verursacht wurde, verfügt die bosnische Armee zudem bisher nicht. Rund um die Stadt sind an die zweitausend serbische Artilleriestellungen aufgebaut, deren Lage den militärischen Planern der UNO und der Nato auf das genaueste bekannt ist. Da sich zu der Zeit des Schusses auf den Marktplatz NatoKampfflugzeuge über der Stadt befanden, wäre es nicht einmal verwunderlich, wenn sogar diejenige Stellung registriert wurde, von der der Schuß abgefeuert wurde.

Wie schon seit Beginn des Krieges wird die „unterlassene Hilfeleistung“ für die leidenden Bewohner der Stadt Sarajevo mit militärischen Argumenten begründet, um damit die politischen Interessen zur Unterstützung der serbischen Politik zu verdecken. So erklärte der ehemalige US-amerikanische Außenminister Lawrence Eagleburger – ein Freund und Geschäftspartner des ehemaligen restjugoslawischen Ministerpräsidenten Milan Panić – am Samstag abend in einer Sendung des amerikanischen Nachrichtensenders CNN, Bombenangriffe auf die serbischen Stellungen wären militärisch sinnlos. Man wisse nicht, was nach den Angriffen dann zu erfolgen habe, es gebe diesbezüglich weder ein militärisches noch ein politisches Konzept.

Diese Behauptung jedoch ist falsch. Schon seit langem, so der ehemalige Oberkommandierende der Heeresgruppe Nord der Nato, der Bundeswehrgeneral Graf von Kielmansegg, der auch bei den Planungen für die Istallierung von UNO-Truppen in Bosnien-Herzegowina beteiligt war, seien Szenarien für das Eingreifen entwickelt, die Stellungen der serbischen Artillerie seien aufgeklärt. Die Masse der schweren Waffen auf serbischer Seite sei durch Luftangriffe um Sarajevo aber auch um Tuzla herum ausschaltbar.

Wichtiger noch als die militärische Aktion selbst könnte jedoch der psychologische Effekt sein, der von einem solchen Angriff ausginge, erklärte am Samstag abend der amerikanische Senator Dole. „Wir reden seit einem Jahr darüber, die Belagerung Sarajevos nicht mehr hinzunehmen und machen uns damit zum Gespött.“ Würde tatsächlich wenigstens punktuell einmal ernstgemacht – so die Erfahrung aus dem letzten Jahr – könnte dies auch für den Verhandlungsprozeß von entscheidender Bedeutung sein.

Ebenso wie Graf von Kielmansegg fordern andere amerikanische Politiker und Militärexperten über die Luftangriffe hinaus die Aufhebung des Waffenembargos gegenüber der bosnischen Armee. Dies würde sich zudem mit dem Artikel 51 der UNO-Charta decken. Dort ist ausdrücklich die Möglichkeit der Verteidigung eines Mitgliedslandes gegenüber einem oder mehreren Aggressoren erlaubt. Das von Interventionsgegnern jüngst vorgebrachte Argument, diese Maßnahmen kämen bereits zu spät, wird von diesem Personenkreis ausdrücklich verworfen, denn gerade mit dem Aufmarsch serbischer und kroatischer Truppen in Bosnien-Herzegowina gerate die rest-bosnische Bevölkerung in allergrößte Gefahr. Durch die Behinderung von Hilfstransporten mit dem Ziel, den Hunger als Waffe einzusetzen, verdeutlichten die kroatischen und serbischen Aggressoren ihr Kriegsziel: die Zerstörung und Aufteilung Bosnien-Herzegowinas durch die beiden Nachbarstaaten und die Zerstörung der bosnischen multikulturellen Identität. Das politische Ziel einer Intervention wäre genau das Gegenteil: durch militärischen Druck und durch Verhandlungen die Wiederherstellung des bosnischen Staates in seinen anerkannten Grenzen anzustreben.

Immerhin ist es der bosnischen Armee in den letzten Monaten gelungen, auch militärisch den gegnerischen Armeen nicht nur zu widerstehen, sondern sogar Terrain zurückzugewinnen. Dies ist zum Teil auch darauf zurückzuführen, daß trotz des Embargos erfolgreich Wege für den Nachschub mit Waffen und Munition aufgetan wurden. Bei den immer wieder genannten islamischen Söldnertruppen handelt es sich nach UNO- Auskunft jeodch lediglich um 200 bis 250 Mann. Dagegen hat die kroatische Seite, allen Dementis zum Trotz, über 5.000 Mann aus Kroatien ins zentralbosnische Hochland geführt. Mile Akmadzic, der „Außenminister“ der selbsternannten kroatischen Republik „Herceg-Bosna“, erklärte zwar, es handele sich nur um „Freiwilligenverbände“. UNO-Beobachter widersprechen dem jedoch und gehen von regulären Einheiten aus. Auch die serbische Seite bereitet sich seit einer Woche mit einer Generalmobilmachung in den serbisch besetzten Gebieten auf einen weiteren großen Waffengang vor. In beiden Nachbarländern, aber auch in Montenegro, wurden aus Bosnien stammende Männer darüber hinaus zwangsrekrutiert. Erich Rathfelder