Blaumeisen für Feinkostgeschäfte

Berlin (taz) – Der Künstler Wolfgang Müller (36) hat an den Fenstern seiner Kreuzberger Altbauwohnung in der Wiener Straße Nistkästen hängen. Gegenüber seiner Wohnung liegt der Görlitzer Park. Von dort aus fliegen jedes Frühjahr Blau- und Kohlmeisen in seine Nistkästen. Doch Müller ist nicht etwa ein großer Tierfreund. Im Gegenteil: Nur wenige Wochen nachdem die Jungen geschlüpft sind, verkauft er die possierlichen Vögel an italienische Feinschmeckerläden. Müller: „Sie sind unentbehrliche Zutat für eine bekannte italienische Spezialität.“ Bedenken hat er keine: „Ich fange ja keine freilebenden Vögel, sondern züchte an den Fenstern meiner Wohnung, außerdem kommen die Vögel freiwillig zu mir.“ Angefangen mit der Vogelzucht hat der ehemalige Kunststudent, nachdem sein Bafög auf 560 Mark gekürzt wurde. Der Nebenerwerb bringt jährlich etwa 200 bis 300 Mark extra. Ein Blaumeisenpärchen kann bis zu 14 Junge haben und brütet zweimal im Jahr. „Als mein Studium zu Ende war, hatte ich noch weniger Geld und war dringend auf Nebeneinkünfte angewiesen“, sagt Müller. Nächstes Jahr will er Starenkästen aufhängen. „Stare wiegen doppelt soviel wie Meisen, obwohl die Nistkästen nur wenig größer sein müssen. Die Restaurants zahlen nach Gewicht.“ Müller hat nämlich herausgefunden, daß Stare, genau wie Krähen, Elstern und Raben, von den Wissenschaftlern zu den Singvögeln gerechnet werden. Claudia Schandt