Es lebe das Matriarchat Von Klaudia Brunst

Es gibt Momente im Leben, die sind einfach erhaben. Gestern war so ein Moment. Er begann, wie fast alle wirklich wichtigen Augenblicke des Lebens, völlig harmlos. Träge schnüffelte der Hund auf seiner Morgenrunde von Peperoni zu Peperoni, und ich wollte ihn schon für sein maßloses Trödeln tadeln, da passierte es: Lässig blieb er am größten Baum der ganzen Straße stehen, drehte sich zur Seite und hob sein Bein. Als hätte er sein ganzes Leben nichts anderes getan, als im Stehen zu pissen, strullerte der junge Hund seinen gesamten Urinvorrat gegen die Borke. Danach drehte er sich auf dem Absatz um und tat, als sei nichts gewesen.

Beeindruckt von so viel Souveränität im Umgang mit dem eigenen Erwachsenwerden, kam ich nicht umhin, sofort die nächste Telefonzelle anzusteuern und meine Freundin von der frohen Botschaft zu unterrichten. „Oh Gott, jetzt ist er wohl in der Pubertät“, meinte sie, und daß ich nicht vergessen sollte, die Brötchen mitzubringen. Als ich, noch ganz erfüllt von mütterlichem Stolz, mit einem Piccolo Deinhardt lila, zwei Croissants, einem Töpfchen Krabbensalat und dem Hund zu Hause ankam, wurden wir allerdings unerwartet ungehalten empfangen. Wir hatten vergessen, den Müll mit hinunterzunehmen.

„Was ist ein überquellender Mülleimer gegen diesen Hund?“ versuchte ich meine Freundin von der Tragweite dieses Augenblicks zu überzeugen. „Ich weiß überhaupt nicht, wieso du dich darüber so freuen kannst“, bellte sie schlechtgelaunt zurück. Es sei schlimm genug, daß wir uns als aufrechte Feministinnen keine Hündin hielten, und das Urinieren im Stehen sei im übrigen eine patriarchale Herrschaftsgeste, die Heerscharen von aufgeklärten Müttern ihren Söhnen mit viel Schweiß abzugewöhnen versuchten. „Auf welcher Seite stehst du eigentlich?“ fragte meine Freundin inquisitorisch und wandte sich dann mannhaft der Müllentsorgung zu.

Auch meine Nachbarin, die am Abend zu unserer Doppelkopfrunde gekommen war und nun interessiert in einer alten Courage zum Thema Klitorisbeschneidung in Timbuktu blätterte, wollte meine Freude nicht teilen. Es sei empörend, wie ich mich mit der Sache des Patriarchats gemein mache, fand sie, und daß es nun an der Zeit sei, den jungen Mann zu kastrieren. „Was seid Ihr herzlos“, schrie mein schwuler Freund beim Stichwort Kastration auf: „Erst der Kater, jetzt der Hund – wo soll das nur enden?“ Verschreckt schlug er die Beine übereinander und warf mit hochrotem Kopf seine Kreuzdame auf einen läppischen Fehlstich. „Männer und Kartenspiele“, stöhnte daraufhin meine Freundin, die das Unglück hatte, die zweite Kreuzdame zu besitzen. „Da könnt Ihr zehnmal im Stehen pissen, weit her ist es mit euch Kerlen deswegen noch lange nicht.“

„Erstens setze ich mich als aufgeklärter Mann immer beim Urinieren“, kiekste mein schwuler Freund hysterisch, „und zweitens habt Ihr doch alle nur einen unaufgearbeiteten Penisneid!“ Als er demonstrativ die Karten auf den Tisch warf und in der Hektik des Aufstehens seinen Stuhl umstieß, fielen unsere Blicke alle in die gleiche Richtung. Der Hund – wir hatten ihn in der Aufregung ganz vergessen – entleerte gerade seine Blase vor dem Bücherregal. Im Sitzen. Auch ihn hatte wohl die Kastrationsangst übermannt.