Droste, Schlingensief etc.
: Aus lustiger Distanz

■ Satiriker in Sachen „Beruf Neonazi“

Die wohl breiteste Diskussion, die in den letzten Jahren über einen deutschen Film stattfand und -findet, erstaunt vor allem dadurch, daß der Gegenstand, um den es geht – der eher schlichte Dokumentarfilm „Beruf Neonazi“ – nur am Rande vorkommt. Statt dessen geht es um die authentische Wirklichkeit, die er angeblich zeige, und um die Zensur, von der der Film angeblich bedroht sei. Daß die „Zensur“ lediglich darin besteht, daß das Frankfurter Amtsgericht die Auflage machte, er dürfe nur mit einem Zusatz im Vorspann gezeigt werden, in dem sich der Filmemacher von den Äußerungen Althans' distanziert, wird genauso unterschlagen, wie daß der angeblich unterdrückte Streifen längst vom „Spiegel-TV“ eingekauft wurde und bei Vox zu sehen sein wird.

Eine Fortsetzung sollte die Diskussion jedenfalls am Samstag im verdienten Berliner Szeneladen „SO36“ finden. Der Haudraufsatiriker Wiglaf Droste (Titanic, ND etc.) und der Haudrauffilmemacher Christoph Schlingensief („Terror 2000“ u.a.) wollten, den Film kommentierend, die Forderung nach einem Kommentar ad absurdum führen. Warum man den Film in einem Zusammenhang zeigen wollte, der den Inhalt nicht zum Thema macht, sondern zum einverständigen Lachen über die ach so lächerlichen Ängste vor seiner Mißverständlichkeit auffordert, bleibt Geheimnis der OrganisatorInnen vom Eiszeit-Kino. Doch an solch politischen Obszönitäten scheiterte die Veranstaltung nicht, sondern daran, daß Wiglaf Droste sich kurz zuvor in einer Radiosendung über die Kindesmißbrauchs-„Hysterie“ mokiert hatte. Daraufhin wurde der Satiriker jedenfalls ausgeladen, die Veranstaltung abgeblasen und in die Volksbühne verlegt. Statt dessen fand eine extrem gut besuchte Diskussion statt, in der über die Absage der Veranstaltung, Faschismus und Kindesmißbrauch (daß man das nicht trennen könne) und vor allem über „Doste oder wie der heißt“ diskutiert wurde. „Wer sowas sagt, der hat hier nichts zu suchen“, der hätte sich „geoutet“ und längst „die Grenze zwischen Humor und Dreck“ überschritten, meinten die einen; andere bedauerten die Absage, denn hätte die Veranstaltung stattgefunden, hätte man „Droste von der Bühne holen können“. Mal galt Droste als Sexist, mal als „Nolte“. Nur wenige riefen: „Droste ist kein Arschloch!“; viele fragten sich dagegen, ob wir „noch ganz richtig im Kopf“ seien.

Am Sonntag abend um elf wurde dann „Endlich!: ,Beruf Neonazi‘ kommentiert!“ in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz gezeigt. Der Wirbel hatte sich gelohnt. Der Saal war brechend voll. Tausend Journalisten hielten ihre Mikros in die Gegend der zwei Männer auf der Bühne neben der Leinwand, die als Gemälde gerahmt war, um sich lustig vom Film zu distanzieren: Wiglaf Droste, der dicke Witzbold, und der unscheinbare Apothekerssohn Schlingensief, der sich mit seinen Körpersaft-Thrillern, in denen es von KZ-Insassen, Nazis und Existentialismen nur so wimmelt, am Elternhaus, Recklinghausen und Deutschland abarbeiten tut. Wie Bonengels „Neonazi“ wurde auch Schlingensiefs „Terror 2000“ letztes Jahr bei der Berlinale abgelehnt. Beiden gelang es letztlich, aus ihrer Ablehnung Kapital zu schlagen.

Schlingensief inszenierte eine Pressekampagne, in der er sich – wie Bonengel – als verfolgter Filmemacher darstellte. Autonome Filmfreunde, die versucht hatten, die Berliner Aufführungen von „Terror 2000“ (schwulen- und frauenfeindlich) zu verhindern, unterstützten ihn dabei freundlich: Er wurde zum „Mann, über den man spricht“. Dafür durfte er zwei sehr pubertäre Theaterstücke in der progressiven Volksbühne inszenieren. Wiglaf Droste nun ist in seinem sonstigen Leben sowieso stets auf Seiten der Erniedrigten und Beleidigten zu finden: Deshalb läuft er auch gerne mit einem T-Shirt rum, auf dem steht: „Ich bin ein aidskranker, schwuler, schwarzer, behinderter Asylant“ o.ä.

Von ähnlich jovialer Lustigkeit, der jede Diskussion Gewäsch ist, da sie sich sowieso stets am Macht-Pol auf Seiten der Bescheidwisser weiß, war die gesamte Veranstaltung. Auf die grenzenlose Selbstgefälligkeit, mit der sich „Ich der Wiglaf“ vorstellte, antwortete das amüsierwillige Wir des Saals mit Gejohle. Viel gelacht und aufgeklärt gekichert wurde auch während der Filmaufführung, so als handele es sich um einen besonders lustig-trashigen, Real-Life- Serial-Killer-Streifen. (Daß Bonengel eine solche Rezeption nahelegt, ist eine andere Geschichte.) Droste und Schlingensief saßen nur rum und verzichteten bedeutungsvoll auf jede Bemerkung zum Film; der Film sei Kommentar genug. Leicht verdientes Geld. Nicht unerwähnt sollte bleiben, daß die Hamburger Kultursenatorin Christina Weiss forderte, Opfer des NS-Terrors sollten zu den Aufführungen des Films gehen, um jungen Leuten zu beweisen, wer da lügt. Detlef Kuhlbrodt