Nachsichtig in die Sackgasse geschickt

■ Energiekreisläufe – „Joseph Beuys: Werke 1954–1986“ im Kunsthaus Zürich

Am Anfang steht eine Enttäuschung. Nein, abgeholt werden sie vorerst nicht, diese Transportgestelle mit den aufgereihten Kupferplatten, die Büromöbel davor oder die ganzen Filzstapel rechts beim Eintritt, die auf ihre Weiterverwendung zu warten scheinen. Der erste Eindruck spricht für sich: Joseph Beuys war an den Zwischenzuständen gelegen, an den Spannungsmomenten, in denen Kräfte frei werden, Bewegung entsteht, alles – sei es materiell oder geistig – in ein unaufhörliches Fließen übergeht. Unaufhörlich scheinen die Worte „Energie“ und „Energiekreislauf“ durch den Raum zu schwirren in dieser zweiten großen Beuys-Ausstellung nach dem Tod des Künstlers 1986, ausgestreut von den Ausstellungsführern, die mit ihren Grüppchen unentwegt durch die Räumlichkeiten ziehen.

Der Ausstellungsorganisator Harald Szeemann wollte keine „Retrospektive“ machen, wollte dieses energiegeladene Werk nicht chronologisch in Kabinette sperren wie 1988 die Berliner Gedächtnisausstellung. Szeemann versucht Beuys' eigenen Intentionen zu folgen, indem er den großen Saal des Züricher Kunsthauses zunächst offen läßt, den Betrachter zwischen den Installationen auf Spurensuche schickt, um ihn dann doch einer Spur folgen zu lassen: hinein in eine „Sackgasse“, in den dumpfen, muffigen Filzraum von „Plight“, vorbei an den eisernen Fundstücken der „Straßenbahnhaltestelle“, vorbei an den Wäschelaken des „Basisraum nasse Wäsche“ bis hin zu den „Olivestones“ von 1985: massige Ruhepunkte, an denen der Rückweg beginnt.

Beuys sah sich selbst auch als Lehrer. Als er um 1960 den Schwerpunkt seiner Arbeit auf Objekte und Aktionen verlagert, ist es bereits eine umfassende spirituelle Theorie, die sich in den Werkformen eines „erweiterten Kunstbegriffes“ visualisieren soll. Die Züricher Ausstellung bringt so in optischen Zusammenhang, was in einem umfassenden theoretischen Bezug steht: Formverläufe einer „plastischen Theorie“, die sich zwischen „Widerstand“ und „Stauung“ entfaltet, deren energetische Potentiale überspringen können von Werk zu Werk oder sich auch mal verdichten zu einem Bild: einem Filzanzug oder Filzliegestuhl an der Wand, einem mit Fett justierten Klavierfuß.

Alles also Theorie? Geronnen zu Kunstobjekten, unermüdlich rückübersetzt von den guten Führungsgeistern, am einzelnen Werk manchmal erfahrbar, manchmal auch nicht. Sein erweiterter Kunstbegriff, seine Ästhetik des Raumes und der Situation verwandelte sich Beuys bald in einen Ästhetisierungsprozeß, in dem das eigene Leben von Kunstaktionen nicht mehr zu trennen war, in dem schließlich auch die Gesellschaft zur Utopie einer „Sozialen Plastik“ wurde, an der jeder Mensch als Künstler mitarbeiten sollte.

An einem Transportgestell der „Grond“-Installation hängt der „Aufruf zur Alternative“, den Beuys am 23. Dezember 1978 in der Frankfurter Rundschau veröffentlichte. Die herumliegenden Schiefertafeln der Installation „Richtkräfte“ sind das Konzentrat einer Reihe agitativer Gespräche, die er 1974 in London veranstaltete. Würde der Aufklärer Beuys heute allein in einer Ecke stehen – wie auf dem Züricher Ausstellungsplakat, eine Fettecke instal

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lierend, alleingelassen mit seiner Utopie einer „neuen Gesellschaft des realen Sozialimus“?

Der Aufklärer Beuys wollte immer auch Schamane sein, wollte den Betrachter mit verlorengegangenen und verdrängten Erfahrungen konfrontieren. Die Beuyssche Kunst ist nicht nur Visualisierung einer Theorie, ihr Einsatz liegt vielmehr auch in der körperlichen Erfahrung, an der leiblichen Grenze: da, wo sich jeder von uns durch Ekel- und Abwehrreaktionen von seiner Umwelt „distanziert“. Die Objekt-Assemblagen in den Vitrinen sind es vor allem, deren verschmutzte und zerfallende Materialien eine Körpererfahrung provozieren, in der sich die sonst selbstverständlich miterlebte Identität immer neu herstellen muß. Die Ausstellung zeigt diesen Teil des Beuysschen Werks detailliert in den Nebenräumen – wie auch die frühen Zeichnungen und Aquarelle, in denen der Künstler eine ungesehene Zwischenwelt aufscheinen läßt, den Blick in eine vorzeitliche Szenerie von Hirschen und Gliederpuppen und Zwischenwesen zurückführt. Dieser Zwischenbereich sollte zum Spielraum des Beuysschen Werkes werden: als Zwischenraum, in dem die rationalen Grenzen zwischen Ich und Welt aufgelöst werden, in dem alles zum Kunstwerk werden kann, wenn es von den Spuren des Gebrauchs gezeichnet ist.

Der Aufklärer Beuys war neben allen anderen Existenzen auch ein Romantiker. Die aufgeladenen Prozesse seiner Installationen und Objekte sind sichtbar gemachte Modelle einer zusammenhängenden Theorie. Dennoch können sie zugleich völlig unabstrakt Erfahrungsräume eröffnen, die eine moderne Gesellschaft weitgehend ausschließt. Beuys, der Schamane: der Künstler, dessen gelungene Werke einen „Gegenraum“ und eine „Überzeit“ evozieren – so, wie die Basaltsteine der Installation „Das Ende des 20. Jahrhundert“. Es sind Bruchstücke, die zum belebten Gegenüber werden durch ein ausgefrästes Zylinderstück, das ihnen wieder eingesetzt wurde mit Hilfe von Filz und Lehm. So steht Beuys vielleicht doch in der Ecke am Ende dieses Jahrhunderts, aber diese Ecke könnte für Augenblicke zum Erfahrungsraum werden jenseits von Rationalität und Entfremdung. Reiner Bader

Noch bis zum 20. Februar im Kunsthaus Zürich