Anders als geplant

Was wird in Gorleben wirklich gebaut? Ein Endlager für Atommüll wohl nicht ...  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Da wollte Bundesumweltminister Klaus Töpfer einmal mehr beweisen, daß er auf dem Felde des Atomrechts unschlagbar ist. Für Mittwoch hatte Töpfer seine niedersächsische Amtskollegin Monika Griefahn zum „bundesaufsichtlichen Gespräch“ bestellt, falls sie die zweite Teilerrichtungsgegenehmigung für die sogenannte „Pilotkonditionierungsanlage“ (PKA) in Gorleben nicht erteilen wolle. Doch gestern konnte Monika Griefahn in Hannover verkünden: „Es wird in dem Gespräch mit Herrn Töpfer nicht mehr um die nächste Genehmigung für die PKA gehen, sondern um die Zuverlässigkeit des Betreibers.“

Die Gesellschaft für Nuklearservice, der Bauherr, hat nämlich inzwischen in Gorleben alle „irreversiblen Bauarbeiten“ von sich aus eingestellt und hat auch gleich drei verantwortliche Personen von ihren Aufgaben entbunden: Auf der Baustelle hinter dem Gorlebener Zwischenlager ist immer wieder anders gebaut worden, als die bisher gültige erste Teilerrichtungsgenehmigung vorsieht.

Eigentlich soll in der Pilotkonditionierungsanlage hochradioaktiver Müll zerkleinert und endlagerfähig verpackt werden für das im Gorlebener Salzstock geplante Endlager, an dessen Fertigstellung allerdings kaum jemand noch glaubt. Nun will das niedersächsische Umweltministerium prüfen, ob die Veränderungen am PKA- Bau womöglich System haben, ob die Anlage einem anderen Zweck zugeführt werden soll.

Töpfers bundesaufsichtliches Gespräch, das nun möglicherweise auf den Freitag verschoben wird, ist nur ein Höhepunkt in einem schon länger schwelenden Streit. Im Dezember war bekanntgeworden, daß in der Atomabteilung des hannoverschen Umweltministeriums die zweite Teilerrichtungsgenehmigung für die PKA bis zur Unterschriftsreife bearbeitet worden war. Vor allem in der grünen Landtagsfraktion löste dies Entrüstung aus. Sah doch der Koalitionsvertrag zwischen SPD und Grünen vor, daß die erste Gehnehmigung für die Anlage zurückzuziehen sei. Der den Grünen angehörende Staatssekretär im Umweltministerium, Han Hendrik Horn, sorgte dafür, daß der für den Genehmigungsentwurf verantwortliche Beamte versetzt wurde.

Alsbald begann das Bundesumweltministerium, sich um die PKA zu kümmern. Alle die Anlage betreffenden Akten wurden von Bonn angefordert, und selbstverständlich kam man im Hause Töpfer zum Schluß, daß die zweite Teilerrichtungsgenehmigung umgehend zu erteilen sei.

Schon vorher allerdings hatten sich im niedersächsischen Umweltministerium die Anzeichen dafür gemehrt, daß die Gesellschaft für Nuklearservice (GNS) beim Bau der PKA nicht mit der notwendigen Sorgfalt vorging. Immer wieder wich die Bauausführung von den Vorgaben ab, die im wesentlichen den Betonrohbau der Anlage umfassen. Sie hätten vorher der genehmigt werden müssen. In mehreren Gesprächen mit dem niedersächsischen Umweltministerium versicherte die GNS schließlich, daß sie sich künftig an das vorgeschriebene Verfahren halten werde. Aber schon Anfang Februar meldete der TÜV erneut fünf ungenehmigte bauliche Veränderungen. Da wurden etwa Mauern verstärkt, Lüftungsschächte entfielen, an anderer Stelle wurden die Deckendurchbrüche für die Lüftungsanlage vergrößert. Insgesamt hat das Umweltministerium 19 nicht genehmigte Abweichungen von den Bauplänen festgestellt.

Da die für den Bau verantwortlichen Personen nunmehr eindeutig Wiederholungstäter waren, konnte von der im Atomrecht für Anlagenbetreiber vorgeschriebenen Zuverlässigkeit keine Rede mehr sein. Am vergangenen Freitag teilte die GNS von sich aus dem niedersächsischen Umweltministerium mit, daß sie die jeweils für den Bau atomrechtlich verantwortliche Person im eigenen Hause, bei der Baustellenleitung und Projektleitung des Generalunternehmers, von ihren Funktionen entbunden habe.

Den Bundesumweltminister hatten die Niedersachsen im übrigen schon früher über ihre Zwiefel an der Zuverlässigkeit der PKA- Bauer in Kenntnis gesetzt. Der allerdings schrieb noch am 2. Februar in seiner Einladung zu dem bundesaufsichtlichen Gespräch, daß ihm keine Tatsachen bekannt seien, die gegen die Zuverlässigkeit sprächen. Erst nach den letzten nicht genehmigten baulichen Veränderungen bat nun auch Töpfer seine Kollegin Monika Griefahn dringend, doch keine Entscheidung über die zweite Teilerrichtungsgenehmigung zu fällen.

Die niedersächsische Umweltministerin will jetzt in aller Ruhe durch ein Gutachten prüfen lassen, wo überall beim PKA-Rohbau von den genehmigten Plänen abgewichen worden ist. Damit will sie auch die Frage beantworten, ob die Abweichungen einen bestimmten Zweck verfolgen. Mangels Endlager, sagte gestern Monika Griefahn, gebe es eben „für eine Endlagerkonditionierung in Gorleben keine Perspektive“. Allerdings sollte die PKA auch immer schon als Reparaturbetreib für defekte Behälter des Gorlebener Zwischenlagers dienen.

Die Chancen, daß jemals in der PKA Atommüll für ein Gorlebener Endlager verpackt wird, sind inzwischen noch geringer geworden. In den Schacht I des Endlagers, für den ein Baustopp gilt, läuft weiterhin salzhaltiges Wasser bisher unbekannter Herkunft ein, wenn auch noch in geringen Mengen. Immerhin will der Betreiber deswegen nun das Schachtfundament dreißig Meter nach unten verlegen. Außerdem müssen 3.000 Schrauben, die Stützringe halten, ausgewechselt werden. Sie sind aus hochfestem aber keineswegs rostfreiem Stahl – auch kein Zeichen von Zuverlässigkeit, sondern schlicht Pfusch am Bau.