„Kein Tribunal gegen Syrien“

Der syrische Botschaftssekretär Nabil Chritah bestreitet eine Beteiligung am Sprengstoffanschlag auf das Berliner Maison de France / Jahrelang betreute er in Ost-Berlin die „Carlos“-Gruppe  ■ Aus Berlin W. Gast

Zu Beginn seiner Aussage gab der Zeuge eine ungewöhnliche Stellungnahme ab. Nabil Chritah, bis zum Oktober 1985 der dritte Sekretär der syrischen Botschaft in Ost-Berlin, appellierte gestern an die 29. Große Strafkammer des Berliner Landgerichts, daß der Prozeß, in dem er nun aussagen wolle, nicht zu einem „Tribunal gegen Syrien“ führen dürfe. Angeklagt ist der Ex-MfS-Offizier Helmut Voigt – wegen der Weitergabe von rund 24 Kilogramm Sprengstoff an die international gesuchten Terroristen der „Carlos“-Gruppe wird er der Beihilfe an dem Sprengstoffanschlag auf die französische Kultureinrichtung Maison de France in Berlin am 25. 8. 1983 beschuldigt. Bei dem Attentat wurden eine Person getötet und 23 zum Teil schwer verletzt.

Weitschweifig beschwor der 43jährige Chritah die guten deutsch-syrischen Beziehungen, die sich „von Tag zu Tag“ vertiefen würden. Syrien, das sei nunmehr das Land, das den Terrorismus bekämpfe. Er beschwor, daß Syrien mit dem Anschlag auf das Maison de France nichts zu tun hatte. Hinter einer spanischen Wand den Blicken der Zuschauer entzogen und von einem halben Dutzend Personenschützern bewacht, legte der Zeuge die Geschichte seiner Kontakte zur „Carlos“-Gruppe dar. Im Winter 1981 habe er von seinem Botschafter den Auftrag erhalten, die Gruppe zu betreuen. Die Weisung dazu sei auf ein Telegramm des Außenministeriums in Damaskus zurückgegangen. Die Gruppe sollte danach alle mögliche Hilfe erhalten. Die Gruppe, das waren der Venezolaner Ramirez Sanchez („Carlos“), sein Stellvertreter Johannes Weinreich (der unter dem Decknamen „Jean“ die Botschaft aufsuchte) und Magdalena Kopp („Maria“), die Lebensgefährtin von Carlos. Die drei benutzten syrische Diplomatenpässe. Weinreich habe einen Reisekoffer im Zimmer des Botschaftssekretärs Chritah deponiert, darin: eine Maschinenpistole, eine Pistole, zwei oder drei Päckchen Sprengstoff in Parfüm-Verpackungen. Bei seinen Aufenthalten in der DDR habe „Jean“ stets die Pistole an sich genommen, sie vor der Ausreise jeweils wieder im Koffer deponiert. Ohne Waffe, so Chritah, habe der Mann sich „nackt“ gefühlt.

Drei oder vier Tage vor dem Attentat auf das Maison de France habe Weinreich schließlich eine weitere Tasche zur Aufbewahrung angeschleppt, die er am Tattag, dem 25. August 1983, am frühen Vormittag wieder abholte – verbunden mit der Frage, ob Chritah bereit sei, diese nach West-Berlin zu bringen. Erst zu diesem Zeitpunkt will der Botschaftsmitarbeiter nach dem Inhalt gefragt und von dem Sprengstoff darin Kenntnis erlangt haben. Weinreich, so Chritah in seiner Aussage, habe die Tasche mit dem Sprengstoff nach dessen eigenen Angaben schließlich selber zu Fuß nach Westberlin gebracht. Zur Mittagszeit zurückgekehrt, habe er ihn aufgefordert, das Radio einzuschalten. Nach der Meldung über den Anschlag habe er erklärt, dies sei „sein Werk“. Chritah will entsetzt gewesen sein. Weder habe er von der Planung gewußt, noch habe er, wie der Angeklagte Voigt in seiner Aussage vor Gericht vermutet hatte, den Sprengstoff nach West-Berlin gebracht.

Gegen Nabil Chritah führt die Berliner Justiz im Zusammenhang mit dem Anschlag ein eigenes Verfahren wegen der vermuteten Beihilfe zum Mord. Ob der 43jährige sich, wie verschiedentlich berichtet, den Strafverfolgern wirklich freiwillig stellte, scheint fraglich. Die Frankfurter Rundschau will aus Sicherheitskreisen erfahren haben, Chritah sei „mehr oder weniger, eher weniger“ freiwillig in die Bundesrepublik gekommen. Nabil selbst wollte gestern nur zur Kenntnis geben, daß er in Budapest von seinem Haftbefehl erfahren habe. Dort, so schreiben es die Kollegen, soll er vor die Wahl gestellt worden sein: entweder „freiwillig“ in die Bundesrepublik oder monatelange Auslieferungshaft. Ein offenes Geheimnis nannten die Verteidiger Voigts, daß Chritah in der Untersuchungshaft Besuch von einem Mitarbeiter der syrischen Botschaft erhalten habe. Dazu, wie auch zu Fragen, ob er nach Syrien zurückkehren oder in der Bundesrepublik einen Asylantrag stellen wolle, verweigerte Chritah die Aussage.