Vaterliebe und wohin sie führen kann

■ Mildes Urteil im Prozeß um den Tod eines zu früh geborenen Kindes

Eine Ärztin hat ihn davoneilen sehen: Ein 30jähriger Mann hat seinen 15 Tage alten Sohn von der Intensiv-Station des Altonaer Kinderkrankenhauses entführt, um ihn, wie er sagt, an die frische Luft zu bringen. Das war im Dezember 1992. Gestern wurde vor dem Hamburger Landgericht gegen den angehenden Zahntechniker wegen Totschlags verhandelt. Der rund drei Monate zu früh geborene Säugling war wenig später gestorben.

Im Prozeß gab der Vater an, er habe seinen Sohn nicht im eigentlichen Sinne getötet, vielmehr habe er den winzigen Darian von seinen Schmerzen erlösen wollen. Der Frühgeborene war bereits am Herzen operiert worden und litt unter einer Infektion. Wegen einer Hirnblutung war mit einer späteren Behinderung des Kindes zu rechnen. Darian lag im Brutkasten und wurde künstlich beatmet.

„Er hatte große Schmerzen“, erinnerte sich der Angeklagte vor Gericht, „er zuckte und krümmte sich, konnte aber nicht schreien“. Die Eltern mußten bei jedem Besuch mitansehen, wie sich das Kind quälte. Da sei ihm der Gedanke gekommen, etwas für seinen Sohn zu tun. Nach seiner Überzeugung habe der Winzling nicht „Schläuche und Apparate“, sondern „Ruhe und frische Luft“ gebraucht. „Er ist doch keine Ratte, mit der man alles machen kann“. Die Situation habe ihn an einen Tierversuch erinnert.

Abends schlich er auf die Intensiv-Station und durchtrennte mit einer mitgebrachten Schere alle Versorgungs-Schläuche. Er nahm das Baby aus dem Inkubator heraus und erreichte unbemerkt den Hinterausgang der Klinik. Erst dann entdeckten Ärzte und Schwestern den leeren Brutkasten. Der im Iran geborene Mann fuhr mit dem Säugling an die Elbe. Er schaukelte das Kind in seinen Armen und sang ihm ein persisches Lied vor, daß ihm besonders am Herzen lag. Es regnete. Nach einer Stunde fuhr er nach Hause. „Er ist kalt geworden“, sagte er zu seiner Frau. Die Polizei wartete bereits auf ihn.

Das Gericht hatte gestern ein Einsehen mit dem Mann und verurteilte ihn wegen Totschlags in einem minder schweren Fall zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr. „Die Medizin kann sehr viel, aber nicht alles ist für den Patienten ein Segen“, so der Vorsitzende Richter in der Urteilsbegründung. Der Iraner und seine deutsche Frau, eine Krankengymnastin, haben sich inzwischen getrennt.

Paula Roosen