„Im Interesse aller Verkehrsteilnehmer“

■ HIV-Infizierter sollte Führerschein verlieren / Nur ein Mißverständnis?

„Bei der Untersuchung sind folgende Mängel festgestellt worden: HIV-positiv“ – unschwer erkennbar, daß der Verfasser dieses Bescheids beruflich mit PKW zu tun hat. Dieser Teil der Nachricht überraschte Empfänger Clemens W. (Name geändert) nicht – hatte er die Hamburger Landesverkehrsverwaltung doch selber über seine Infektion unterrichtet. Als er den Rest des Formulars studierte, war es aber mit seiner Gelassenheit vorbei. Unter dem Stichwort „Auflagen“ teilte das Amt ihm nämlich mit, der Führerschein-Entzug drohe, wenn er nicht jährlich ein ärztliches Attest einreiche. „Eine Sicherungsmaßnahme im Ineresse aller Verkehrsteilnehmer“, so lautet die Begründung des Sachbearbeiters. „Absoluter Humbug“, meint Dr. Tilman Hassenstein, Arzt der Aids-Hilfe Hamburg. Eine Erkrankung, die zu mangelnder Fahrtüchtigkeit führe, könne schließlich jeden jederzeit befallen. Auch werde eine solche Verfügung nicht gegen Menschen mit einer Herzschwäche oder alternde Verkehrsteilnehmer erlassen, so Hassenstein.

Völlig arglos hatte Clemens W. die Verkehrsverwaltung selber auf seine Fährte gehetzt: Als er nach einem Jahr Führerscheinentzug den Schein wieder beantragen wollte, teilte er auf einem Formular für die angesetzte medizinisch-psychische Untersuchung seine Infektion mit. „Kein Problem“ konnte das untersuchende Institut in diesem Umstand entdecken, und teilte dies auch der Verkehrsverwaltung mit: Die Infektion beeinträchtige die Fahrtauglichkeit von Clemens W. nicht. Eine Einschätzung, die auch Tilman Hassenstein teilt: „Medizinisch gesehen gibt es bei HIV-positiven Menschen überhaupt keine Notwendigkeit für eine solche Verfügung“.

Jedoch, der TÜV-tüchtige Sachbearbeiter wußte es besser. Und daß er die Aufforderung auch wirklich ernst meint, unterstrich er dieser Tage mit einer Mahnung, mit einer handfesten Drohung des Führerscheinentzugs bestückt. Eine existenzbedrohende Maßnahme für Clemens W.: Seit neun Jahren HIV-infiziert, versucht er sich derzeit dennoch mit der Gründung einer eigenen Computerfirma. Und für den Reparatur- und Lieferdienst ist der Führerschein für ihn unumgänglich.

Sein Versuch, gegen die diskriminierende Auflage vorzugehen – im übrigen für die Verkehrsbehörde ein „denkbar mildes Mittel“ – förderte erstaunliche Einsichten zutage. Auf eine taz-Nachfrage mußte ein Polizei-Sprecher berichtigen, daß es sich hier um „ein Mißverständnis“ handele. Der Sachbearbeiter habe die HIV-Infektion mit einer Aids-Erkrankung verwechselt. Quod erat demonstrandum: Schuster bleib bei deinen Autos!

Sannah Koch