Der „Wilde Osten“ ist gezähmt

■ Bremer Richter für Aufbau der Rostocker Justizverwaltung geehrt

„Inzwischen klappt die Rechtspflege in Rostock fast besser als hier,“ sagt Richter Albrecht Lüthke. Er muß es wissen: Seit Oktober 1992 ist Lüthke, Richter am Bremer Amtsgericht, an die Justizverwaltung der Hansestadt Rostock „ausgeliehen“, um dort bei Aufbau und Stabilisierung der Justizbehörden zu helfen. Ein gutes Maß an Stolz schwingt bei dem Jugendrichter mit, wenn er davon erzählt, daß der Apparat in den neuen Ländern gut funktioniert. „Das Arbeitsklima da ist besser als hier.“

Stolz waren auch die anderen knapp 50 RichterInnen, RechtspflegerInnen und BeamtInnen der Staatsanwaltschaft, die am Freitag von einem ebenfalls stolzen Justizsenator Henning Scherf belobigt wurden. Scherf hatte die Aufgabe, das Lob seines mecklenburgischen Amtskollegen Helmrich weiterzugeben. „Ich habe selten erlebt, daß Beamte so gelobt worden sind wie in diesem Brief von Helmrich“, meinte Scherf. Neben den RichterInnen wurden besonders die bremischen RechtspflegerInnen gelobt, die in „Grundbuchsonderteam-Einsätzen“ Ordnung in die katastrophale Nach-Wende-Unordnung gebracht hätten.

Albrecht Lüthke kam nach Rostock-Lichtenhagen im Oktober 1992 – mitten hinein in die ausländerfeindlichen Krawalle und den Angriff auf die „Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber“. 500 Meter vom Tatort war seine Wohnung und er habe das „beruflich hautnah mitbekommen“: Über das folgende halbe Jahr sah er viele der Täter vor seinem Jugendgericht wieder. „Die meisten der Mitläufer haben in der Untersuchungshaft angefangen, darüber nachzudenken und sagen jetzt, daß sie sowas nicht wieder machen würden.“ Jugendstrafen, teilweise ohne Bewährung, und soziale Auflagen waren die Urteile für die Brandnächte in Lichtenhagen. „Die Neonazis haben in den Prozessen allerdings wenig Einsicht gezeigt“. Heutzutage seien die Pogrome allerdings in Rostock kein Thema mehr. „Seitdem ist es relativ ruhig, ab und zu gibt es kleine Hakeleien zwischen rechten und linken Gruppen.“

Die Zeiten des „Wilden Ostens“ sind auch in Rostock vorbei, betont Albrecht Lüthke. Etwa ein Jahr nach Wende und Wiedervereinigung seien Richter, Staatsanwälte und Polizei so verunsichert gewesen, daß sie lieber nichts gemacht hätten als einen Fehler zu riskieren. „Inzwischen wissen die Polizisten, daß sie einem Autofahrer, bei dem sie 1,2 Promille gemessen haben, nicht auf Verlangen den Führerschein wieder herausgeben müssen.“ Mit dem Berg von unerledigten Fällen schlagen sich die Justizverwaltungen teilweise heute noch herum, aber langsam sehe man Land. Junge KollegInnen aus den alten und neuen Ländern (Die alte DDR-Richter-Garde ist im Ruhestand) arbeiten neben den „alten Hasen“ aus dem Westen: „Das Wichtigste, was ich mache, ist den Leuten jeden Tag Auskünfte und Ratschläge zu geben.“

Unterschiede zwischen Bremen und Rostock sieht Lüthke vor allem in der Art der Fälle, die bei ihm landen. Hatte er in Bremen meistens mit Drogendelikten zu tun, so sind „Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz“ in Rostock nicht erwähnenswert: „In der ganzen Zeit hatte ich nicht einen Fall.“ Dafür ist aber der Anteil an schweren Straftaten gegen Gesundheit und Leben weit über dem Bundesdurchschnitt: „Wir ziehen da auch im Jugendbereich bei schweren Fällen die Zügel mehr an als wir das hier tun – da gibt es öfter mal Jugendstrafen ohne Bewährung.“ Neben dem „traditionell großen“ Alkoholkonsum vermutet Richter Lüthke hinter der stärkeren Aggression die „Leere und Perspektivlosigkeit bei vielen jungen Leuten.“ bpo