Ein Rundherumkunstwerk

■ Das Paula Becker-Modersohn-Haus in der Böttcherstraße ist eine herrliche Sache geworden

Das strapazierte Bild vom „Gesamtkunstwerk“, hier trifft es einmal voll und ganz: Was an Architektur, Malerei und Plastik aus der bewegten Hochzeit der Moderne in den „Kunstsammlungen der Böttcherstraße“ beisammen ist, kommt dem Geist der Gesamtkünstler schon ziemlich nahe.

Ab heute steht das Paula Becker-Modersohn-Haus, als Kern des neuen Museums, dem Publikum wieder offen; und nach fünf Jahren sorgsamer Restaurierung kann man da nur staunen: In beispielhafter Weise wird vorgeführt, wie sich die Kunstdisziplinen in der Moderne durchdringen, werden insbesondere die überbordenden Ideen und Utopien Bernhard Hoetgers und die stille Feierlichkeit Paula Modersohn-Beckers dem Publikum vor Augen gebracht.

Das alles in einer Präsentation, die der historischen Architektur Tribut zollt, ohne sie nachzuäffen – und die sich mit den Kunstwerken zu einer großartigen, schlüssigen Einheit verbindet.

Mit den Namen Modersohn-Becker und Hoetger schmückt sich die Stadt Bremen ja sehr gern und werbewirksam. Im runderneuerten Haus ist das Werk der beiden nun endlich auch in zwei entsprechend repräsentativen Ausstellungen zu sehen. Dabei kann die Stadtgemeinde ganz und gar aus eigenen Beständen schöpfen: Durch die Ankäufe der vergangenen Jahre verfügt Bremen „über die umfangreichste Hoetger-Sammlung Europas“, wie Kultursenatorin Trüpel sagt, und über zahlreiche Gemälde und Zeichnungen, die den Grundstock des neuen Museums bilden sollen.

Mit der Eröffnung der Doppelausstellung stehen gleichzeitig die Sanierungsarbeiten vor ihrem Abschluß, die die Sparkasse nach dem Erwerb des Böttcherstraßen-Ensembles 1988 begonnen hatte. So jubilierten gestern die Vertreter der Stadt wie der Sparkasse im Verein: „Jeder Bremerin und jedem Bremer muß an so einem Tag das Herz überlaufen“, sprach Friedrich Rebers, der wieder mal alles („so zwischen acht und neun Millionen für das Haus“) bezahlt hat.

Vergessen die Mühen, die Kleinarbeit der Kunstpräsentation, die Aufräumarbeit im alten Becker-Modersohn-Haus und die vielen Überraschungen. Nach der Restaurierung der von Hoetger selbst entworfenen Backsteinfassade ging es nämlich nochmals an die Substanz des historischen Gebäudes. Die Fundamente waren abgesackt und in desolatem Zustand. Dann galt es, die inzwischen etwas seltsam anmutenden Zutaten des Wiederaufbaus aus den 50er Jahren zurückzunehmen und die Museumstechnik behutsam zu integrieren. Jetzt soll's erstmal genug sein: Zumindest „für die nächsten 50 Jahre“ will die Sparkasse Ruhe haben vor weiteren Umbaupflichten.

Von den Schwierigkeiten der Renovierung ist freilich kaum noch etwas sichtbar. Licht und Luft durchwirken alle Räume; der Muff der 50er Jahre ist vergessen. Aber auch eine Rekonstruktion des vermutlichen Originalzustands wurde vermieden: in Ermangelung von genauen Plänen verzichtete man darauf, die schwerblütige „Hoetger-Atmosphäre“ (Hans-Joachim Manske, Kulturressort) nachzuempfinden. Und darin liegt die ganze Kunst dieser Renovierung: es gab kein betuliches Historisieren, wie es in den 80ern so mancher deutschen Altstadt widerfuhr; keine postmoderne Zitatensammlung verunziert das Haus. Stattdessen erreichte Architekt Peter Schnorrenberger einen gelungenen Kompromiß. Die mächtig wuchernde, expressionistische Fassade prangt jetzt in neuem Glanz; in den Innenräumen hingegen verbinden sich verhaltene Art-Deco-Reste mit der nüchternen, hellen Atmosphäre eines zeitgenössischen Museums.

Trotz der ziemlich beengten Räumlichkeiten in Hoetgers Schachtelbau bekommen die Kunstwerke viel Platz zugestanden. Hoetgers Plastiken, die kleinen Gruppen wie die monumentalen Büsten, der Schmerzensmann wie die alte Dirne, sie sind in motivischen Gruppen so im Raum versammelt, daß sie meist von allen Seiten betrachtet werden können – so erschließt sich erst die ganze, wuchtige Dynamik dieser Kunst.

Ein denkbar reizvolles Gegengewicht zu Hoetgers ausladender Gestik bilden die drei Räume (einer soll noch hinzukommen), die nun ständig Paula Modersohn-Beckern gewidmet sind. Gegen die Kraftakte Hoetgers steht hier die feine, brüchige Linie, in der Land und Leute festgehalten sind, mit unnachahmlicher Zärtlichkeit. Neben den Zeichnungen sind im größten Raum des Hauses die Gemälde der Bremer Sammlung zu sehen: die Prachtstücke, bekannte wie weniger bekannte, die katalogartig die kurze, heftige Entwicklung der Künstlerin veranschaulichen.

So ist es nicht vermessen, wenn die Senatorin nun behauptet, alles sei „im Geiste des Architekten Bernhard Hoetger“ restauriert worden. Noch gilt es aber , die Bestände aus der Kunsthalle wie aus der Modersohn-Becker-Stiftung in die Sammlung einzubeziehen. „Bis zur Sommerpause“ soll die Trägerschaft geklärt sein und die Sammlung wirklich zum eigenständigen Museum samt neuer Leitung werden – letztere hat derzeit noch kommissarisch die Kulturbehörde selbst. Thomas Wolff

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 11 - 17 Uhr, Montag 14 - 17 Uhr