Fiat muß Kündigungen bei Alfa zurücknehmen

Arbeitsrichter wirft Autokonzern Verstoß bei Entlassungen vor / Erfolg für Basisgewerkschafter  ■ Aus Rom Werner Raith

Mit einem geradezu epochalen Urteil hat der italienische Arbeitsrichter Franco Cicconi am Montag sowohl der unternehmerischen Selbstherrlichkeit wie dem Alleinvertretungsanspruch der Großgewerkschaften klare Grenzen gesetzt: Er ordnete an, daß die 2.300 soeben aus dem Alfa- Romeo-Werk von Arese bei Mailand enlassenen MitarbeiterInnen mit sofortiger Wirkung wieder eingestellt werden müssen. Der Betrieb gehört zum Turiner Fiat-Automobiltrust. Die Entlassungen waren im Rahmen einer „Bereinigung“ der Arbeitsplätze im Großkonzern ausgesprochen worden – ein Teil der mehr als 40.000 ArbeiterInnen und AngestelltInnen, die der italienische Autokonzern seit Mitte vergangenen Jahres nach und nach vor die Tür setzt.

Die Verhandlungen mit den Gewerkschaften, in die am Ende auch die Regierung eingeschaltet war, verliefen ergebnislos und wurden vor vierzehn Tagen von der Konzernleitung einseitig abgebrochen. Zahlreiche Warnstreiks – mittlerweile auch von den traditionell eher firmenfrommen „Weißkitteln“ der Ingenieurs- und Facharbeiterebene unterstützt – fruchteten ebenfalls nichts: Fiat fuhr mit seiner „Eigensanierung“ ohne jeglichen Sozialplan fort und mißachtete souverän alle Gesetze, die in Italien im Falle von Massenentlassungen zu beachten sind. Genau das wurde der selbstherrlichen Firma, immerhin Europas zweitgrößter Autobauer, nun zum Verhängnis.

Im konkreten Falle hatten freilich nicht Großgewerkschaften den Prozeß angestrengt – trotz markiger Worte ihrer Chefs unter dem mächtigen Oberboß der ehemals kommunistisch orientierten CGIL, Bruno Trentin. Die Klage kam von den „Basiskomitees“ (Cobas), jenen kleinen, auf die einzelnen Firmen beschränkten Fachbereichsgewerkschaften, die Fiat – unter augenzwinkerndem Einverständnis mit den großen Dachverbänden, die die Zwerge seit jeher böse befehden – überhaupt nicht zum Verhandlungstisch zugelassen und auch nicht über die bevorstehenden Entlassungen informiert hatte. Nach dem Urteil des Arbeitsrichters ist damit die „Koalitionsfreiheit der Arbeiter und damit ein hohes Grundrecht verletzt“, weiterhin aber auch den anderen Gewerkschaften gegenüber jede Grundregel des Entlassungsvorgangs mißachtet worden. „Die Arbeiter müssen in jedem Falle ausreichend Zeit haben, sich auf die neue Situation einzustellen, und gerade daher sieht das Gesetz auch eine Vorlaufzeit von mindestens einer beziehungsweise zwei Wochen vor“, so der Richter. Fiat aber hatte den Arbeitern die Entlassungsbescheide mit sofortiger Wirkung ausgehändigt, also ihnen faktisch fristlos gekündigt.

Der Arbeitsrichter ging jedoch noch weit über die bloß formelle Beanstandung des Kündigungsvorganges und die Versetzung in die „Cassa integrazione“ hinaus. Dabei geht es um eine Art Arbeitslosenversicherung, bei der die Arbeiter disponibel für den entlassenden Betrieb bleiben müssen, um von diesem bei Bedarf wieder eingestellt werden zu können. Richter Cicconi verwies auf die Unzulässigkeit der Fiat-Regelung, bestimmte Arbeiter auf Dauer nach Hause zu schicken, wenn andererseits deren nichtgekündigte Kollegen ihre Arbeitsplätze behalten. Nach Ansicht des Arbeitsrichters stellt dies eine grobe Verletzung des „Solidaritätsgebotes“ in den einschlägigen Arbeitsgesetzen dar: „Die vom Staat eingerichtete Cassa integrazione sieht vor, daß mit ihr soziale Härten bei festgestelltem unumgänglichem Kündigungsbedarf vermieden werden. Das bedeutet jedoch nicht, daß ein Teil der Arbeiterschaft nach Belieben und Willkür aussortiert und auf Dauer entlassen, der andere aber behalten werden darf. Die Firma muß ein klares und alle Arbeiter und Angestellten der zu sanierenden Abteilungen umfassendes Turnussystem anwenden.“ Das will heißen, ein Arbeiter wird zwar für einen Monat ausgestellt, doch nach einem weiteren Monat beginnt er wieder zu arbeiten; an seiner Stelle rückt dann ein anderer in die „Cassa integrazione“ nach.

Fiat hat sofort nach Bekanntwerden des Urteils trotzig erklärt, es ändere sich im Grunde nichts, man werde die Arbeitsplätze nach wie vor streichen – dann eben mit Vorankündigung und dem gewünschten Turnussystem, als sei alles nur eine Marotte des Arbeitsrichters. Tatsächlich ist der Unterschied für die betreffenden Arbeiter jedoch beträchtlich: Beim Überwechseln in die „Cassa integrazione“ verliert der Arbeitnehmer bis zu 50 Prozent seines Lebensunterhalts. Kommt er im Turnus immer wieder an seine alte Stelle, erhält er für diese Zeit erneut volles Gehalt.

In jedem Falle werden sich Massenentlassungen nun nicht mehr so selbstherrlich und rücksichtslos unsozial durchführen lassen, wie Fiat dies vormachte. Andere Firmen agieren weit sensibler – etwa der Computerkonzern Olivetti, der sich energisch bemüht, neue Arbeitsplätze für die Entlassenen zu finden, um so nicht einen einzigen Arbeiter auf die Straße setzen zu müssen.

Die Regierung des ob der Arroganz von Fiat sowieso längst verärgerten amtierenden Ministerpräsidenten Carlo Azeglio Ciampi sieht das Urteil nicht ungern. Sie hat nun gute Chancen, die Konzernherren wieder an den Verhandlungstisch zu bringen. Dort werden sie allerdings auch nicht durchweg glückliche Gesichter vorfinden – den Großgewerkschaften wird ganz und gar nicht schmecken, daß erstmals in einer großen Industrie- Verhandlungsrunde neben ihnen strahlend die ungeliebte, doch im Prozeß so erfolgreiche Konkurrenz der Cobas-Basisgewerkschafter Platz nimmt.