CDU-Geifer und SPD-Hofdichter

■ SPD-Parteidichter zünden in den Medien Nebelkerzen in Sachen Wahlkampfhilfe

Düsseldorf (taz) – Als der Düsseldorfer Korrespondent einer nordrhein-westfälischen Regionalzeitung am vergangenen Donnerstag sein Blatt aufschlug, mochte er seinen Augen nicht trauen. Zur Landtagsdebatte über die SED- Wahlkampfhilfe für den früheren Kanzlerkandidaten Johannes Rau suchte er seinen tags zuvor verfaßten Kommentar, in dem er das Einheitsverratsgeschrei der CDU gleichermaßen kritisiert hatte wie die zwischen SPD und SED abgesprochene Wahlkampfhilfe – vergebens. Die gefährlichen Schrammen am Heiligenbild des Landesvaters Rau hatten den Chefredakteur höchstpersönlich mobilisiert. Das Ergebnis: Ein nach allen Seiten kritischer Kommentar wurde gekippt und durch eine Wahlkampfschlammschlachtschelte gegen die CDU ersetzt.

Die Steilvorlage für diese in nahehezu allen Medien in NRW betriebene Rau-Entlastung kam von der CDU selbst. Statt sich auf die von dem „Forschungsverbund SED-Staat“ an der FU Berlin nachgewiesene SED-Wahlkampfhilfe für Rau zu beschränken, sah die CDU die Stunde gekommen, Rau und die SPD als Verräter der Einheit vorzuführen. Im Auftrag von Rau hatte sich Bahr – wie zuvor auch Wolfgang Schäuble – im September 1986 im Gespräch mit Erich Honecker darum bemüht, die ungehinderte Einreise von Asylbewerbern über den Ostberliner Flughafen Schönefeld in den Westteil der Stadt zu stoppen. Aus den SED-Protokollen geht hervor, daß Bahr die SED-Führung damals um eine Regelung gebeten hat, „die auch im Hinblick auf das Wahlergebnis vom 25. 1. 1987 [Bundestagswahl, d. R.] günstig wäre“. Gleichzeitig sagte der Rau- Unterhändler Honecker zu, die SPD wolle „in aller Form erklären, daß bei der Regierungsübernahme durch die SPD die Regierung der BRD voll die Staatsbürgerschaft der DDR respektieren wird, und damit dieses Thema beerdigt wird“. Diese Formulierung deutete der CDU-Oppositionsführer so, daß Rau damit „die deutsche Einheit abgeschrieben“ habe. Sein Generalsekretär Herbert Reul warf Rau vor, für die Wahlkampfhilfe einen Preis gezahlt zu haben, der „Anerkennung der DDR- Staatsbürgerschaft hieß“.

Rau als Verräter der Einheit, diese Botschaft als eine Fortsetzung des reaktionären Geschreis von den vaterlandslosen Gesellen, wird seither in immer neuen Variationen von der CDU-Spitze bundesweit verbreitet. Sie trifft einen Mann, dessen politisches Engagement 1953 in der Gesamtdeutschen Volkspartei seinen Anfang nahm und der eins nie wollte: die Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft. Die Formulierung in seinem Regierungsprogramm vom 25. Oktober 1986 beschreibt Raus Position exakt: „Wir werden die Staatsangehörigkeit der DDR im Rahmen des Grundgesetzes respektieren.“ Die Rechtsposition für Deutsche aus der DDR blieb damit uneingeschränkt gewahrt. Daß in der SPD viele die „Anerkennung“ wollten, steht fest. Rau dessen zu besichtigen ist, wie er zu Recht sagt, „frei erfunden“, eine bewußte Verleumdung. Neben der „Schmutzkampagne“ liegt indes eine andere, vom Geifer der CDU wie von SPD-Hofdichtern gleichermaßen zugeschüttete Wahrheit: die gezielte SED-Wahlkampfhilfe für die SPD. Diesen Sündenfall suchten in den letzten Tagen viele kunstvoll zu vertuschen. Als besonderer Meister tat sich dabei der Bonner Korrespondent der Frankfurter Rundschau, Helmut Lölhöffel, hervor. Am 2. Februar stellt Lölhöffel zunächst einmal die Glaubwürdigkeit der von dem Fernsehmagazin „Kontraste“ verbreiteten SED-Protokolle in Frage. Das Magazin habe den Vorwurf der Wahlkampfhilfe gegen Rau „konstruiert“. Zwei Tage später überraschte Lölhöffel sein Publikum mit der Information, daß nach „Auskunft seriöser Zeitgeschichtler“ aus den Protokollen „zweifelsfrei“ hervorgehe, „daß sowohl der SPD-Unterhändler Bahr als auch Rau 1985/86 durchaus einverstanden waren, daß die Lösung eines damals aktuellen ,Asylproblems‘ (...) als Erfolg des sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten Rau dargestellt würde“. Ein schönes Stück Parteiprosa. Tatsächlich war es genau umgekehrt. Bahr hat Honecker um Wahlhilfe gebeten und die entsprechenden Protokollpassagen inzwischen auch im WDR bestätigt. Der Satz im Protokoll, ob es eine Möglichkeit für eine im Hinblick auf den Wahltermin günstige Regelung gebe, habe er „selbstverständlich“ gesagt. Die Wahlkampfhilfe für Rau hat Bahr mit der SED-Führung nach Auskunft des Historikers Jochen Staadt vom „Forschungsverbund SED-Staat“ im Detail abgestimmt. Ein reger Schrift- und Telegrammverkehr belegt diese Behauptung. Davon sucht auch der Kommentator der Süddeutschen Zeitung, Martin E. Süskind, abzulenken. Noch am 4. Februar fabulierte er davon, daß bei solchen Protokollen „nichts“ eindeutig sei. Da hatte selbst Bahr den Protokollinhalt längst bestätigt. Walter Jakobs