Warten auf den wirtschaftlichen Aufschwung

■ Hanspeter Leikeb, stellvertretender Leiter des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bei der Bundesanstalt für Arbeit, über Chancen für AkademikerInnen

taz: Immer mehr StudienabsolventInnen stehen immer weniger Arbeitsplätzen gegenüber. Sinken die Arbeitsmarktchancen von AkademikerInnen?

Hanspeter Leikeb: Der Arbeitsmarkt ist im Augenblick sehr eng. Man darf sich aber nicht von der kurzen Sicht beeinflussen lassen. Irgendwann, ob 1994 oder 1995, kommt der Aufschwung wieder.

Das Ende der Rezession bringt aber nicht zwangsläufig eine Arbeitsmarktentspannung.

Das stimmt. Aufschwung und Abbau der Arbeitslosigkeit sind zwei Paar Schuhe. Letzteres dauert eine gewisse Zeit, wie wir Mitte der 70er und Anfang der 80er beobachten konnten. In der Regel vergeht ein Jahr, bis der Aufschwung auch den Gesamtarbeitsmarkt nährt. Das Problem für die akademischen Berufe sind weniger drohende Entlassungen als vielmehr der Zugang zum Arbeitsmarkt. Deshalb sind bei Akademikern eher die jüngeren Jahrgänge in einer schwierigen Lage, während bei den meisten anderen Berufsgruppen die Älteren stärker betroffen sind.

Die NaturwissenschaftlerInnen hatten es bei der Jobsuche bisher immer leichter als die GeisteswissenschaftlerInnen.

So war es in der Vergangenheit, und so könnte es auch in der Zukunft sein. Aber momentan leiden auch die Ingenieure, Naturwissenschaftler und Techniker unter der schlechten Nachfrage. Denn im Augenblick ist es die Industrie, die zur Schwäche neigt. Und dort sitzen die Arbeitgeber für die technischen Berufe. In der jüngsten Zeit hat sich die Lage für die Naturwissenschaftler prozentual sogar drastischer verschlechtert als bei den Geisteswissenschaftlern.

Weil es ihnen vorher besser ging.

Einmal deshalb, aber auch, weil mehr Lehrer und Lehramtsanwärter eingestellt wurden als etwa zum Beginn der 80er Jahre.

Der öffentliche Dienst ist der große Arbeitgeber für AkademikerInnen. Wie aufnahmefähig ist dieser Sektor noch?

Auf kurze Sicht wird im öffentlichen Dienst Personal abgebaut. Andererseits gibt es auch dort einen Qualifizierungstrend, das heißt, es werden auf allen Ebenen zunehmend Höherqualifizierte aufgenommen.

Also drängen AkademikerInnen zunehmend auf Stellen, die ihrer Qualifikation und ihren Lohnerwartungen nicht entsprechen?

Das ist schon seit langem zu beobachten. Ein Studium ist immer mehr eine notwendige Voraussetzung, um eine Spitzenposition zu erlangen, aber immer weniger eine hinreichende. Peter Glotz (SPD- Bildungspolitiker, d. Red.) hat es vor über zehn Jahren einmal so formuliert: Eine Million Akademiker können nicht die oberen Zehntausend sein. Abgewandelt auf die heutige Situation könnte man sagen: Drei Millionen Akademiker können nicht die oberen Dreißigtausend sein.

Ich glaube, die Akademiker haben diese Situation inzwischen auch akzeptiert. Es scheint zumindest keine große Gruppe von Hochschulabsolventen zu geben, die nun bedauert, überhaupt studiert zu haben.

Verzeichnen Sie jenseits der klassischen Selbständigen wie ÄrztInnen, RechtsanwältInnen, ArchitektInnen einen Trend zur Freiberuflichkeit unter AkademikerInnen?

Leider können wir nicht auf neuere Zahlen zurückgreifen. Ich rechne aber damit, daß der Anteil der Selbständigen unter den Akademikern zunehmen wird. Das wird viele Berufsgruppen betreffen, und zwar sowohl im technischen Bereich, wo Software oder Laser-Techniken entwickelt werden, als auch etwa bei beratenden Tätigkeiten.

Nicht immer wird dieser Weg freiwillig angetreten und endet dann knapp oberhalb des Existenzminimums.

Das stimmt. Aber eine offene Gesellschaft hat natürlich auch nicht die Pflicht, bestimmte Qualifikationen in bestimmtem Umfang nachzufragen. Das ist ein freies Spiel der Kräfte. Interview: Silvia Schütt