Vier Millionen im Freizeitpark

■ 4,029 Millionen ohne Job – Bundesanstalt für Arbeit plädiert für Umverteilung der Arbeit

Nürnberg (taz) – „Selbst wenn ich wollte, ich könnte an dieser Nachricht nichts ändern.“ Die Nachricht, die Bernhard Jagoda, Präsident der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit, parat hat, ist alarmierend: Mit 4,029 Millionen Arbeitslosen in ganz Deutschland ist Ende Januar ein neuer Nachkriegshöchststand erreicht. Knapp 2,74 Millionen Menschen ohne Beschäftigung im Westen, das hat es seit Kriegsende nicht gegeben. Die Arbeitslosenquote kletterte im Osten auf 17,0 Prozent, im Westen auf 8,8 Prozent.

Da gebe es nichts zu beschönigen, betont Jagoda, aber er wolle die Rekordmarke auch „nicht als Verschärfung negativer Tendenzen gewertet wissen“. Die Statistik macht's möglich. So führt Jagoda den Arbeitslosenhöchststand auf „zum weitaus größten Teil jahreszeitliche Gründe“ zurück. Der Anstieg im Westen um 222.400 gegenüber dem Vormonat lasse sich saisonbereinigen auf 27.000. Mangels mehrjähriger Vergleichszahlen läßt sich zwar in den neuen Bundesländern nichts quantifizierbar bereinigen, doch gehe der jüngste Anstieg auch dort „ohne Zweifel“ auf saisonale Einflüsse zurück.

Ein erklecklicher Teil des Anstiegs der Arbeitslosigkeit, das verhehlt auch CDU- Mann Jagoda nicht, ist Ergebnis der Sparpolitik der Bundesregierung beim Haushalt der Bundesanstalt, ist politisch gewollt. Entlasteten im Vorjahr Arbeitsbeschaffungs- und Umschulungsmaßnahmen sowie Vorruhestandsregelungen den Arbeitsmarkt in den neuen Ländern allein um 1,7 Millionen, kamen im Januar 400.000 Menschen weniger in den Genuß dieser Leistungen. Auch im Westen waren im Vorjahr noch 77.000 Menschen mehr in Fortbildungs- oder AB-Maßnahmen beschäftigt, als dies heute der Fall ist. Im Haushalt 1994 muß die Bundesanstalt gegenüber dem Vorjahr noch einmal 400 Millionen Mark sparen. „Unser Haushaltskleid ist ein Minikleid“, kommentiert Jagoda.

Immer lauter fordert Jagoda jetzt eine gesellschaftliche Umverteilung der Arbeit als einzig realistische Chance, wieder mehr Leute in Lohn und Brot zu bringen. Modelle zur Arbeitszeitverkürzung, beispielsweise das Viertagemodell bei VW, nannte Jagoda bereits im Dezember einen „großen Schritt nach vorne“. Damit bezog er eindeutig Stellung gegen die jetzt in der Metalltarifauseinandersetzung wieder aktuelle Forderung der Arbeitgeber nach Arbeitszeitverlängerung. Als Ausweg aus der Arbeitsmarktmisere fordert die Bundesanstalt jetzt eine verstärkte Förderung für sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Privathaushalten und hofft auf einen expandierenden Pflegebereich. Das Hauptaugenmerk gilt aber der Teilzeitbeschäftigung. Neidisch blickt Jagoda auf die Niederlande. Dort beträgt der Anteil der Teilzeitbeschäftigung bereits 34 Prozent, in Deutschland West sind es derzeit nur 14,6 Prozent, im Osten schlappe 9,6 Prozent. Jagoda weiß auch, wer den Anfang machen soll: „Der öffentliche Dienst muß hier den Vorreiter spielen.“ Perspektivisch sieht der Präsident des Bundesarbeitsamtes im Osten zwar gewisse „Stabilisierungstendenzen“. Immerhin habe sich die Beschäftigung von März auf September 1993 leicht auf zuletzt 5,6 Millionen erhöht. Im Westen schlage sich aber die Rezession auf alle Berufe nieder. Vor allem ArbeitnehmerInnen im Metall- und Elektrobereich sind stark betroffen. bs

Tagesthema Seite 3