Zurechtgeschminkter Skinhead

Puck und Hamlet, Chaot und Studiotyrann: Die diesjährige Retrospektive huldigt Erich von Stroheim  ■ Von Klaus Kreimeier

Das Schlimmste ist, daß sie mir fünfundzwanzig Jahre meines Lebens gestohlen haben“, soll Stroheim kurz vor seinem Tod 1957 gesagt haben. Sein Werk, das zu einem Glücksfall hätte werden können, wurde als Torso, schließlich als Ruine zum Monument einer Katastrophe, für die sämtliche großen Konzerne Hollywoods verantwortlich zu machen sind.

Zu seinem Typus gehörten die Klischees, die er selbst produziert hat – bis zu jenem dreisten „von“, das der 1885 in Wien geborene Kaufmannssohn Erich Oswald Stroheim seinem Namen hinzusetzte und das für seine engsten Freunde wie den Produzenten Paul Kohner zur praktischen Abkürzung und zärtlich-ironischen Koseform wurde. Das Adelsprädikat und die (auch von ihm selbst) lancierte Legende, er habe als Offizier in der K.u.k.-Armee Österreich-Ungarns gedient, waren der Schablone des teils preußisch, teils habsburgisch ausstaffierten Militär-Scheusals, die zum Schicksal seiner Schauspielerexistenz wurde, jedenfalls nicht hinderlich. Er selbst sah sich als „eifrigen, überzeugten Österreicher alten Stils und eifrigen Katholik“. 1910 ging er nach Amerika; bald wechselte er von New York nach Hollywood – doch was als Karriere begann, setzte sich als Leidensweg fort und endete in der Verbitterung desjenigen, der unermüdlich Ideen und Geschichten erfand, sie niederschrieb, sie zu Markte trug – und nur allzu oft daran gehindert wurde, sie zu realisieren.

Selbst wer noch nie von Stroheim gehört haben sollte, kennt seine Visage: eine aus vielen Filmen bekannte, zum Schreckensbild stilisierte Offiziersmaske, in die Augen stechend durch einen nachgerade obszönen Charme unwiderstehlicher Häßlichkeit; das knochige, manchmal leicht aufgedunsene, sonderbar nackt wirkende Gesicht, monokelbewehrt und von beängstigend abstehenden Ohren gerahmt; auf dem kahlgeschorenen Schädel die Leutnantsmütze; der bis zum Kinn zugeknöpfte Militärrock, übersät von Ordensspangen – kurzum: ein dem Simplicissimus entstiegener und für Hollywood-Maßstäbe zurechtgeschminkter Skinhead aus dem Geist des Wilhelminismus und der Donau-Dynastie, dem es jedoch durchaus nicht an perfider Eleganz gebrach. Ein in die Uniform eingezwängter Körper, der eine diabolische, mithin überaus erotische, gelegentlich explosive Grazie hatte.

Ab 1917, als Amerika in den Krieg eintrat, wurde diese Version des häßlichen Teutonen, dem jede Kinderschändung zuzutrauen war, für die Propagandafilme Hollywoods gegen das wilhelminische Deutschland dringend gebraucht. Stroheim reüssierte als preußischer Brutalo, nachdem er zuvor als Stuntman gearbeitet und in Nebenrollen, unter anderem als Neger in D.W. Griffiths „The Birth of a Nation“ und „Intolerance“, aufgetreten war. An der germanischen Heimatfront, die auch nach 1918 moralisch weiterhin Gewehr bei Fuß stand, trug ihm sein Rollenrepertoire noch 1921 den Titel des „antideutschen Hetzfilm- Hauptdarstellers“ ein.

Zu diesem Zeitpunkt hat Stroheim – bei der vom schwäbischen Filmpionier Carl Laemmle gegründeten Universal – bereits einen Passionsweg als Regisseur angetreten. „Blind Husbands“ (1919) passiert die Zensur noch unbeanstandet. „The Devil's Passkey“ (1920) wahrscheinlich auch – dafür existiert von diesem Film keine Kopie mehr; die letzte ging vermutlich bei einem Brand des Universal-Filmlagers in den fünfziger Jahren verloren. „Foolish Wives“ (1921) kostet schon mehr als eine Million Dollar, löst einen schweren Krach mit den Produzenten aus und alarmiert die Zensur, die den Film um etwa ein Drittel seiner ursprünglichen Länge amputiert. „Merry-Go-Round“ (1923) führt zum Zerwürfnis mit dem berühmten Universal-Tycoon Irving Thalberg: Als Stroheim drei Tage braucht, um der Komparserie (natürlich K.u.k.-Gardesoldaten) das korrekte Salutieren einzubleuen, und darauf besteht, auch die Statisten hätten seidene Unterwäsche mit dem kaiserlichen Monogramm zu tragen, wird er gefeuert. Dabei befindet sich seine Pedanterie, theatergeschichtlich gesehen, auf der Höhe der Zeit: In diesen Jahren hämmert Stanislawski im Moskauer Künstlertheater seinem Ensemble denselben detailbesessenen Wirklichkeitsfetischismus ein. Thalberg ist's zu teuer; der Film wird entgegen dem Drehbuch mit einem Happy-End versehen und von einem im übrigen nicht weiter aufgefallenen Rupert Julian fertiggestellt.

Die Katastrophen beschleunigen sich mit Stroheims Wechsel zu Metro-Goldwyn-Mayer. Hier dreht er „Greed“ (1923/24), wieder unter der Fuchtel von Thalberg, der sich abermals als sein böser Geist bewährt. Nach den Dreharbeiten verschwindet Stroheim auf unbestimmte Zeit im Schneideraum – und kommt mit einer vorläufigen Fassung von 47 Akten wieder zum Vorschein, die er selbst auf die Hälfte verkürzt. Der Regisseur Rex Ingram stellt eine in sich geschlossene Version von 18 Akten her, die von MGM schließlich auf normale Spielfilmlänge herunter- und wohl endgültig um ihre ursprüngliche Vielfalt und komplexe Struktur gebracht wird.

Bei „The Merry Widow“ (1925) geht der Streit mit Thalberg munter weiter: Der Produzent diktiert die Besetzungsliste, verändert das Drehbuch, mischt sich in die laufenden Arbeiten ein und droht immer wieder, den Geldhahn zuzudrehen. 1926 ist der Bruch mit MGM perfekt; Stroheim hat inzwischen eine Reihe von Drehbüchern geschrieben, die keine Chance auf Realisierung haben. Jetzt muß er sich mit Paramount (und Paramount mit ihm) herumschlagen – hier dreht er „The Wedding March“ (1926/27) und kann sich nicht dagegen wehren, daß ihm die Montage aus der Hand genommen und anderen, zum Beispiel ausgerechnet seinem Landsmann Josef von Sternberg, anvertraut, er selbst hingegen mit Pauken und Trompeten entlassen wird.

Nun versucht er es als „Independent“ – und kriegt prompt Krach, weil man sich auch als Unabhängiger, finanziert vom Star Gloria Swanson und von Joseph Kennedy (dem Vater von J.F.K.), mit seinen Geldgebern irgendwie arrangieren muß. Das Ergebnis ist „Queen Kelly“ (1928/29), ein Film, dessen Produktion zunächst wegen der inzwischen erfolgten Erfindung des Tonfilms abgebrochen, dann jedoch von Edmund Goulding für die United Artists fertiggestellt wird. Der Film kommt nicht in den Verleih; dem amerikanischen Publikum wird er lange vorenthalten. Nun ist nur noch eine große Firma übrig: die Fox. Hier probiert es Stroheim mit dem Tonfilm, dreht „Walking Down Broadway“ (1933), hält alle Termine ein, bleibt im Rahmen des Budgets und liefert tatsächlich einen fertigen Film ab – den die Auftraggeber alsbald neu schreiben, neu drehen, neu montieren und mit einem neuen Schluß unter dem Titel „Hello, Sister!“ auf die Öffentlichkeit loslassen. Die Wege Hollywoods sind wunderbar. Stroheim zieht seinen Namen zurück; 1936 ist er erst einmal reif für die Rückkehr nach Europa.

Stroheims Filme sind also, genaugenommen, gar nicht existent. Gibt es eine Erklärung für dieses Desaster? Die Ursachen sind vielfältig, und zu einem nicht geringen Teil liegen sie in seiner eigenen Persönlichkeit. „Stro“ gilt als ein „Schwieriger“ – und er war es auch. „Dieser kleine Mann, der alles ausstrahlte, Genie, Maßhalten, Leichtsinn, Chaos, der einmal Puck und dann wieder Hamlet war“ (Maurice Bessy) – dieser Kerl konnte ein widerwärtiger Pedant und ungenießbarer Studiotyrann sein; das Geld warf er mit offenen Händen zum Fenster hinaus, und von einem genau durchkalkulierten Drehplan hielt er nicht sehr viel.

Hinzu kam: Gerade in den zwanziger Jahren entwickelte sich das Studiosystem Hollywoods mit seiner hochgradig arbeitsteiligen Produktionsökonomie zur Perfektion. Stroheim schneite als Universalgenie in dieses System; er schrieb seine Drehbücher selbst und griff dabei am liebsten – als brillanter Schriftsteller, der er nicht nur nebenher war – auf eigene Erzählungen, Ideenskizzen und Sujets zurück. Wenn es möglich war (wie bei „Blind Husbands“) entwarf er auch die Atelierbauten, zeichnete seine eigenen Kostümskizzen, montierte seine Filme und wollte bis ins Detail alles selbst bestimmen – einmal liebenswert sanfter, mal vulkanisch polternder, zudem lächerlich abergläubischer Tausendsassa und Chaot, der die auf Effizienz bedachten Studiobosse zunächst in fassungsloses Staunen, dann in Rage und schließlich auf die Idee brachte, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um dieses heikle Genie entweder zu bändigen oder sich vom Leibe zu halten.

Die Konflikte waren somit vorprogrammiert. Sie gleichen den Auseinandersetzungen, die andere europäische Regisseure in Hollywood durchzufechten hatten. Aber Stroheims Martyrium wirft auch ein Licht auf den zeitgeschichtlichen Hintergrund und auf den großen kulturellen Diskurs zwischen Europa und Amerika, der in seinem Fall zu einem veritablen Crash geriet. Seine Filmstories liefern zu diesem Problem eine Fülle von Hinweisen.

Ein biederer amerikanischer Chirurg, sein liebeshungriges Weib und ein girrender österreichischer Galan in Leutnantsuniform begeben sich in den Tiroler Alpen auf eine Kletterpartie; alle drei sind mit einer Spitzhacke bewaffnet. Der Galan stürzt tödlich ab; der Chirurg blickt in den Abgrund der Bergwelt und seiner Seele; die junge Frau aber hat einen Aufruhr der Gefühle durchgemacht, der ihr puritanisch gestautes Innenleben nachhaltig aus dem Gleichgewicht geworfen hat („Blind Husbands“). Ein anderes amerikanisches Ehepaar lebt in Paris. Sie sorgt für einen von den Klatschspalten liebevoll, freilich unter Schonung ihres Namens aufbereiteten Skandal, als sie sich mit einem Casanova aus dem amerikanischen Offizierskorps einläßt; er, ein realitätssüchtiger Stückeschreiber, macht aus dem galanten Stoff ahnungslos ein erfolgreiches Theaterstück. Tout Paris beklatscht die Premiere und amüsiert sich über den gehörnten Ehemann („The Devil's Passkey“).

Die beiden ersten Filme Stroheims zwinkern schon giftig-frivol, aber die amerikanische Zensur drückt ein Auge zu: Die bedrohten Ehen waren nach konvulsivisch

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verlaufenen Zerreißproben zwar nicht gerade rundum heil, doch halbwegs repariert, der Ehebruch gesühnt oder zumindest übertüncht, der Ehebrecher tot oder in der Versenkung verschwunden. Ein zentrales Thema seiner frühen Filme aber hatte Stroheim schon in scharfen Konturen herauspräpariert, teils mit den feinen Seziermessern seiner Psychologie, teils mit der Axt seiner brutalen Kolportage-Dramaturgie – und dieses Thema nagte an den amerikanischen Seelen: der Zusammenstoß eines zutiefst bigotten, harmoniesüchtigen, der strikten Triebverleugnung ergebenen „way of life“ mit den Exzessen des krisengeschüttelten, an blutigen, erotischen und perversen Geschichten so reichen und in seine elegante Fäulnis verliebten Abendlandes. Was wohlhabenden, aber etwas unbedarften Amerikanern so passieren kann, wenn sie nach Europa reisen und in den ersten Hotels von Rom, Paris oder Monte Carlo absteigen, hatte etwas früher der europasüchtige Amerikaner Henry James zum Gegenstand seiner einfühlsamen, psychologisch vertrackten Novellen und Romane gemacht – bei Stroheim wurde daraus ein manchmal krudes, meist hintergründig- abgefeimtes und immer entlarvendes „Kino der Grausamkeit“ (André Bazin), ein Kino der ebenso kalkulierten wie aggressiven Paranoia. Als er „Foolish Wives“ drehte, kannte dann auch der amerikanische Puritanismus – verkörpert in den Frauenligen, in der Zensur und in Hollywoods allgewaltigem Sittenwächter Will Hays, dem Erfinder der amerikanischen FSK – keinen Spaß mehr. „Diesen wilden Umsturz erlebten die Herren des Ortes fasziniert wie einen Orgasmus, aber zugleich schreckten sie davor zurück. Sie spürten in sich Skrupel und Schuldgefühle. Plötzlich rochen die Studios nach Schwefel“, schrieb Maurice Bessy in seiner Stroheim-Monographie.

In „Foolish Wives“ öffnet Stroheim eine Pandorabüchse aller europäischen Laster der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg und versetzt sie in der penibel nachgebauten Operettenkulisse Monte Carlos mit ausgeprägter Lust an erotischen Scheußlichkeiten in einen makabren Veitstanz. Ein falscher russischer Graf, der sich pompös Wladislas Sergius Karamzin nennt (gespielt von Stroheim himself), schröpft, assistiert von zwei „Prinzessinnen“, die moribunden Exemplare unter den oberen Zehntausend, verführt die Frau des amerikanischen Botschafters, brilliert als Falschspieler in der Spielbank, fällt über sein eigenes Zimmermädchen her, rettet sich mit Mühe aus einer brennenden Villa und vergewaltigt noch schnell die schwachsinnige Tochter eines Falschmünzers, bevor er von diesem kunstvoll abgestochen wird; sein Leichnam verschwindet in der Kloake; bei der Diplomatengattin führt die ganze Panik zu einer Frühgeburt.

Habgier und ungezügelte Erotomanie mit kraß sadistischen Zügen, weltläufiger Zynismus und das kokette Spiel mit dämonischer Verruchtheit gehen in diesem Popanz eine exaltierte Mischung ein: Hier ist ein Kotzbrocken, der die Epoche vor und nach dem großen Krieg, das alte Europa des degenerierten Adelsgelichters und der millionenschweren Schmarotzer jeglicher Couleur mit Lust zur Hölle fahren läßt. Es war eine Haßliebe, die Stroheim mit „Merry Old Europe“ und mit der untergegangenen Habsburgermonarchie verband. In der Akribie, mit der er diese versunkene Welt und ihre Protagonisten bis ins Detail ausgestaltet und sich selbst immer wieder die Montur des hackenschlagenden, roboterhaft sexistischen Offiziers angepaßt hat, kam seine Vergangenheitsbesessenheit ebenso zum Ausdruck wie sein Mißtrauen vor dem Neuen, Unwägbaren, das nach dem Krieg chaotisch heraufzog.

Als Darsteller brach er freilich immer wieder aus dieser Montur und ihren Zwängen aus – sonst gäbe es nicht die bestrickende Figur des Bauchredners Gabbo in einem frühen Tonfilm von James Cruze („The Great Gabbo“, 1929), nicht seine hochkultivierte Bosheit in „As You Desire Me“ (1932, mit Greta Garbo); ganz zu schweigen von den Rollen, die er nach seiner Rückkehr in Europa, vor allem in Frankreich, spielte und in denen er die Ambivalenzen, die Brüche in den martialischen Fassaden aufdeckte, so etwa als Major von Rauffenstein in Jean Renoirs „La Grande Illusion“ (1937). Allein im Jahre 1939, bis zum Kriegsausbruch, spielte Stroheim noch in sieben französischen Filmen, bevor er nach Hollywood zurückging und, der politischen Lage gemäß, wieder ins „antideutsche“ Militärfach einstieg, dabei aber differenzierten Charakterstudien den Vorzug gab – etwa als Generalfeldmarschall Rommel in Billy Wilders „Five Graves to Cairo“ (1943) und als Gestapo-Arzt in Lew Milestones „The North Star“ (1943). Nach Kriegsende: wieder in Frankreich. Stroheim spielte bis 1955 noch in vielen Filmen, aber nur noch einmal in Hollywood: als Ex-Regisseur und Butler seines ehemaligen Stars Gloria Swanson in Billy Wilders „Sunset Boulevard“ (1950).

Das Regiedebakel mit „Foolish Wives“ hat Stroheim nicht daran gehindert, in den folgenden Filmen seine Obsessionen auf die Spitze zu treiben und dem Verfall der Sitten in den besseren Kreisen Europas visuelle Orgien von teuflischer Pracht zu widmen. Immer wieder schwerreiche, haltlose, zu jeder Schurkerei entschlossene Genießer – und engelgleiche junge Frauen aus dem Volk, schutzlos, aber meist willig den faunischen Eskapaden ihrer Kavaliere preisgegeben. „Merry-Go-Round“: standesgemäßer Terror am Habsburger Hof und Exzesse in einem Stundenhotel; ein Wüstling wird von einem Gorilla erwürgt. „The Merry Widow“: Franz Léhars Operette ins Sarkastische gewendet; moralisch verrottete Thronfolger zanken sich um eine amerikanische Tänzerin; ein seniler Baron verröchelt in seiner Hochzeitsnacht.

„The Wedding March“: Wiener Dekadenz um 1914. Das amouröse Dreieck wird hier von einem lebenslustigen Prinzen, einer schmachtenden Harfenistin und einem gewalttätigen Metzger gebildet. Am Ende sind alle Hauptpersonen tot – bis auf die kleine Mitzi, die ins Kloster geht. Zwei Statistinnen, die sich im Hintergrund einer Bacchanal-Szene küßten, sorgten für einen Skandal. „Queen Kelly“: Gloria Swanson spielt eine irische Klosterschülerin, die in einem prekären Augenblick ihren Schlüpfer verliert, von einem etwas debilen Traumprinzen ins lustige Leben entführt und später von einer Königin mit der Peitsche traktiert wird. Melodramatische Höhepunkte, die in einer afrikanischen Kolonie spielen sollten, waren geplant und wurden auch gedreht, aus der Kopie jedoch, die ohnehin kein Amerikaner zu Gesicht bekam, wieder entfernt. Nach der Pariser Uraufführung 1932 schrieb ein Kritiker: „Man hat das Gefühl, daß hier ein Mensch mit Begabung und Phantasie gearbeitet hat, dem man vergaß, die Zwangsjacke anzulegen.“

Ein besonderer Fall ist zweifellos „Greed“, dessen extreme Bilder als naturalistisch bezeichnet wurden, obwohl sie – bei aller mikroskopisch genauen Milieutreue – jede platte Wirklichkeitsschilderung weit hinter sich lassen. Ein Film, den man als Gewaltexplosion und als Kompendium aller Stroheimschen Horrorvisionen betrachten kann und dem es doch um eine insistente, mit Leidenschaft vorgetragene „Botschaft“ geht. Es ist weniger Geldgier noch sexuelle Hörigkeit allein, die das Leben zweier Menschen ruiniert – vielmehr zeigt Stroheim in hochdramatischen Szenen und ins Ekstatische getriebenen Bildern, die an die große Zeit des deutschen Stummfilms erinnern, wie beide Leidenschaften sich gegenseitig anfachen, die Lebensstrategien durchkreuzen und die Menschen zugrunde richten.

Doch „Greed“ wäre nicht lupenreiner Stroheim, gäbe es nicht Szenen von grausig-grotesker Schönheit: Wenn McTeague, der falsche Zahnarzt, seine wie eine Nonne drapierte Patientin in der Narkose versucht zu vergewaltigen; wenn Zasu Pitts in der Hauptrolle der Trina, sich nackt auf ihrem Bett wälzend, mit einem Berg von Dollarmünzen kopuliert – dann hat uns das Pathos der schwarzen Romantik, hat uns Stros Fetischismus wieder eingeholt – oder vielmehr seine Kunst, den Fetischcharakter der menschlichen Beziehungen in die Allegorien des Films zu übersetzen. Am Ende von „Greed“ erwartet uns das „Tal des Todes“: eine finale Western-Landschaft unter kreisenden Geiern und grellweißer Sonne.

Melodramatik, Kolportage, traditionelle Plots: Sie bilden nur das Grundgerüst für Bilder und Bildkompositionen, die über eine autonome erzählerische Kraft verfügten. Stroheim, der seine Geschichten eher kontinuierlich als analytisch aufbaut, läßt seinen gnadenlos genauen Blick über den phantastischen Barock seiner Wiener Interieurs, über die neurotische Pracht seines nachgebauten Monte Carlo, über die in Leibern, Lüstern, Spiegeln, Marmorstatuen schwelgenden Tableaus seiner Bacchanale schweifen: einen bösen Blick, der den Luxus theatralisiert, um den Wahnsinn dieses Milieus in die Falle zu locken. Norbert Grob hat in einem großen Stroheim-Essay darauf hingewiesen, daß auch die bestehende Tiefenschärfe der Totalen – der Wiener Prater in „Merry-Go-Round“, die Hochzeit im Stephansdom von „The Wedding March“ – einer Strategie der „Zersetzung“ folgt: Nichts, kein noch so unscheinbares Detail, kann diesem liebevoll sezierenden Blick entrinnen.

Und dann die präzise pointierten Genre-Miniaturen: ein Handkuß, um ihn herum gruppiert das erotische Dreieck, das infame Spiel der Blicke. Die fetischistischen Selbstinszenierungen Stroheims, der – zum Beispiel in „Foolish Wives“ – ein Damenkorsett trägt, den Schuh der Angebeteten umklammert und ihr gleichzeitig aus rasender Begierde in die Hand beißt. Die ostentative Präsentation entblößter Frauenbeine, die, als seien sie vom Rest des Körpers abtrennbare Kostbarkeiten, als Blickattraktion ins Bildzentrum plaziert werden – so etwa in den Saturnalien von „The Merry Widow“. Ekstatisch aufgedonnerte, mit religiösem Kitsch unterfütterte Blasphemien: Mae Murray kniet in ihrem Bett unter einem überdimensionalen Kruzifix mit einem gräßlich blutenden Heiland; die Hochzeitsszene in der Kirche wird dominiert von einer riesigen Monstranz, deren Strahlen wie Schwerter den Raum zerschneiden.

In solchen Bildern irrlichtert schon die Phantasie Buñuels und der französischen Surrealisten – Halluzinationen aus den Gruselkammern der europäischen Kultur, die einem amerikanischen Publikum nicht nur schlichtweg sittenwidrig erscheinen, sondern auch beklemmend fremd bleiben mußten. Stroheim ist noch immer ein unerledigter Fall: halb noch dem Wilhelminismus, halb schon den Trümmern des 20. Jahrhunderts zugewandt, eine Fin-de-siècle-Figur, über die Jean Renoir 1938 schrieb: „Er war immer hart, er hat nie Konzessionen gemacht. Eine Art Würde ließ ihn immer Abstand wahren gegenüber dem Reiz des Schwärmerischen und des Sentimentalen. Diese Waffen hat er immer verschmäht, ohne Zweifel deswegen, weil ein Mann seines Formats nur allzu sicher war, mit jedem Schuß ins Schwarze zu treffen.“

Retrospektive im Astor, Wiederholungen im Zeughaus-Kino.