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Mein Leben als Mönch

Seelenwanderung statt Weltenbummel und Lehre von der Leere: Bertoluccis „Little Buddha“ eröffnet und erleuchtet heute die Berlinale  ■ Von Christiane Peitz

Licht aus, Spot an, los. Erst flackert es in der Dunkelheit, Schemen nehmen Konturen an, dann reißt der Himmel auf und die Hölle ist los. Fremde Welten und vergangene Zeiten tun sich auf und versinken wieder, Tote werden lebendig, Lichtgestalten und Finsterlinge tummeln sich im Schattenreich des Zelluloids, Spektakel und Illusion, Soundtrack und Special Effects, Close Ups und Showdowns betören die Sinne. Früher gingen die Leute in die Messe, dann ins Theater, heute gucken sie Filme. Kino — das Mysterienspiel des 20. Jahrhunderts.

Überlebensgroß und wie hautnah die Helden dieses Himmelreichs: Wer im Kino sitzt, der hat Erscheinungen. Das Publikum schaut auf, in Sesseln kauernd, steif vor Unbeweglichkeit, in ordentlichen Reihen neben- und hintereinander, jeder für sich allein. Im Dunkeln verwandelt sich der Saal in einen Ort der Kontemplation und die Schar der Zuschauer in eine Gemeinde von ehrfürchtig Staunenden. Kinogänger sind Gläubige, Blinde, die sehend werden, lauter Paulusse. Sie lernen das Fürchten, bezeugen Offenbarungen und lassen sich nur zu gern bekehren. Auf der Leinwand bloß Lug und Trug, aber jeder hält es für bigger than life. Willig läßt sich der Zuschauer hinters Licht führen und glaubt doch, ihm gehe ein Licht auf. Seine Götter sind die Stars, die Filmemacher ihre Hohepriester, und der Cineast — ja vielleicht ein Mönch. Einer, der die Tricks studiert hat, das Theater durchschaut, gelegentlich sogar Zugang zum Allerheiligsten erhält, und ihm dennoch hoffnungslos verfallen ist. Süchtig nach Bildern ist der Kritiker ein Prophet wider besseres Wissen. Die Augen gehen ihm über, aber seinen Lesern will er weismachen, sie seien ihm aufgegangen.

Kirche und Kino, Lichtspiel und Erleuchtung, Geisterbeschwörung und Leinwandzauber: der Zusammenhang ist vielfach beschrieben und von Regisseuren wie Godard oder Greenaway filmisch illustriert worden. Man kann — und sollte — ihn getrost vergessen, denn das Schöne am Kino besteht ja darin, daß es keinen höheren Zweck verfolgt. Es verpflichtet nicht auf seligmachende Gebote, verlangt keine Opfer, prophezeit keinen Lohn für besseren Lebenswandel oder Strafe für den Sündenfall. Von wegen Heaven can wait — das andere Leben, die bessere Welt offenbart es uns hier und jetzt. Kino ist kein Versprechen, sondern dessen prompte Erfüllung. Es verweist nicht aufs Jenseits, sondern bietet das reinste Diesseits, zwei Stunden Paradies (oder auch die Hölle), gleich auf der Stelle, ohne Ansehen der Person: Apokalypse Now. Seine Botschaft ist mein Vergnügen, seine Religion nicht das Seelenheil, sondern der Augenschmaus, sein oberstes Gebot nicht der Sinneswandel, sondern meine Sinnenlust. Wunder gefällig? Aber bitte sofort.

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Eine Stimme verkündet: „Vor 2500 Jahren wurde Buddha geboren, in einem kleinen Königreich im alten Indien“. Wutsch, schon sind wir da. Elefanten trotten durch den Busch, die Königin singt bei der Niederkunft, ein Baum neigt sich schützend über die Gebärende, das Baby kann sprechen und laufen, Lotosblüten sprießen nach jedem seiner Schritte. Auftritt: seine Heiligkeit, Buddha persönlich.

Das Baby als Prinz: ein schöner Jüngling, Siddharta mit Namen, trägt prachtvolle Gürtel, Reifen und Schmuck, falsche Locken, braune Farbe im Gesicht und viel Kajal. „Ich muß sie sehen, diese Welt, mit meinen eigenen Augen,“ spricht Keanu Reeves alias Siddharta, entdeckt das Leid (und die Stimme predigt: „An diesem Tag entdeckte Siddharta das Leid“), wird Asket, faltet die Hände im Schoß und lächelt fortan. Eine Reisschale schwimmt flußaufwärts, Pfeile verwandeln sich in Blütenblätter, eine Kobra verdingt sich als Regenschirm — „Das Dschungelbuch“ ist nix dagegen. Siddharta besiegt die Armee der Finsternis, widersteht seinem eigenen Spiegelbild, meditiert unter dem Baum der Erkenntnis, findet die Große Ruhe und wandelt fortan auf dem Mittleren Weg. Keanu Reeves, der Erleuchtete: Buddha als tumber Tor, eine Ausgeburt von grinsender Blödigkeit. Merke: Gegen das Leid der Welt hilft Nichtstun mit Abstand am besten.

Tibetische Mönche in Seattle: Im buthanischen Bergkloster ist ihnen via Telegramm geweissagt worden, der neunjährige Jesse aus dem amerikanischen Seattle sei die Wiedergeburt des Lama Dorje, ihres verstorbenen weisen Lehrers und Priesters. Also gehen die Mönche nachgucken, erläutern den staunenden Eltern die Lehre von der Leere, der Reinkarnation und dem Karma, schenken Jesse ein Bilderbuch über Siddharta (wegen der Rückblenden, siehe oben), beantworten geduldig all seine Fragen (Warum hast du keine Schuhe an? Was ist Himalaya?“), finden noch zwei weitere Wiedergeburten — einen Straßenjungen aus Kathmandu und ein neunmalkluges Mädchen (!) aus Tibet — und ehren das kindliche Trio mit Trommelschlagen, Glöckchenklingeln und himmlischen Chören. Was noch halbwegs skeptisch und (allerdings unfreiwillig) komisch begann, endet in heiligem Raunen. „Little Buddha“ ist ein buddhistisches Weihestück, Kino als Kinderbibel, Tempelfeier und Religionsstunde, Kitsch und Märchen, Mythos und Mystik, Exotik und Folklore, United Colors samt Mandala und Weltmusik. Und p.c. noch dazu: Jesses Vater Dean beteuert den buddhistischen Gästen, er habe großen Respekt vor ihrer Kultur, wisse um Aufstände und Exil der Tibeter, aber das mit der Wiedergeburt glaube er nicht. Woraufhin der Lama das Gleichnis vom Tee und der Tasse erzählt. Bertolucci sei's gedankt: Nach diesem Film sind Jesse, Dean und alle, die Augen haben, dem Nirwana ein gutes Stück näher.

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Heilige statt Menschen, Engel statt Erdenwesen, Seelenwanderung statt Weltenbummel: Nach Wim Wenders hat sich mit Bertolucci ein zweiter führender europäischer Autorenfilmer neuerdings auf höhere Sphären und Werte kapriziert und versteht sich nicht mehr als Bildermacher, sondern als Wahrheitskünder. Wenders und Bertolucci, dazu noch Kieslowski, Avati oder Greenaways „Wunder von MÛcon“ — Zufall oder Trend? Vielleicht bringt die Berlinale Aufschluß darüber, wohin die Reise geht. In jedem Fall häuft sich die Selbstverkennung: der Regisseur und mit ihm ein komplettes Filmteam gehen als Weltverbesserer ans fromme Werk. Zitate aus dem „Buddha“- Presseheft: „Im Jahr 1991 trafen Bertolucci und sein Produzent Jeremy Thomas mit dem Gottkönig der Tibeter, Seiner Heiligkeit, dem Dalai Lama, zusammen, der dem ehrgeizigen Filmprojekt zustimmte“. Oder Keanu Reeves, der für die Askese-Szenen eifrig gefastet haben soll: „Bald mußte ich mein ganzes Glaubens-System überdenken“. Oder Bridget Fonda (Jesses Mutter): „Ich habe ganz deutlich gefühlt, daß mir auf wunderbare Weise die Augen geöffnet wurden“. Oder Popsänger Chris Isaak (der ungläubige Vater) nach sieben Wochen Kathmandu und Buthan: „Ich bin immer noch unwissend, aber ich fühle jetzt, worum es da geht.“ Wer jetzt nicht sein Haupt neigt, der beugt es nimmermehr.

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„Ich brauch' nen Scotch“, stöhnt Chris Isaak nach der Heimsuchung der Heiligen Männer aus dem fernen Asien. Den werden die Gäste der Berlinale-Premiere auch nötig haben. Es sei denn, sie wurden erleuchtet.

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