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Ein Wettkampf gegen den Tod

Die Olympiakleidung der Sportlerinnen und Sportler aus Bosnien und Herzegowina ist so schwarz wie ihre Stimmung  ■ Aus Lillehammer Cornelia Heim

Nizar Zaciragic holt ganz tief Luft, wartet ein paar Sekunden, dann schießen die Worte in seinem harten Englisch stakkatoartig aus ihm heraus. Wie soll man auch erklären, was sich im Innersten abspielt? Mit Worten etwa? Auch noch in einer fremden Sprache? Nizar Zaciragic ist Bobfahrer. Eigentlich. Aber im Moment fühlt er sich mehr als Kämpfer für den Frieden. Nizar Zaciragic ist am 25. Januar aus seiner eingekesselten Heimatstadt Sarajevo geflohen, um bei den Olympischen Spielen im norwegischen Lillehammer dabei zu sein. Dabeisein kann das zehnköpfige Team aus Bosnien- Herzegowina mit dem Körper. „Abschalten können wir nicht.“ Der Kopf ist zu Hause, muß Krieg spielen, ob er will oder nicht. „Wir wollen der Welt zumindest zeigen, daß es uns noch gibt“, sagt Stjepan Kljuić, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) von Bosnien-Herzegowina.

Kljuić ist verbittert. „Das ist kein Bürgerkrieg, sondern ein Krieg gegen Bürger.“ Er sieht aus wie ein gepflegter Geschäftsmann, mit seinem kamelfarbenen Mantel, dem graumelierten Vollbart, Anzug und Krawatte. Nicht wie einer, der aus dem Krieg kommt. „Ich gehe wieder zurück“, sagt er und wirkt unendlich stolz mit seinen harten Augen. „Ich glaube nach wie vor an mein Land.“ Lachen tut Kljuić nur mit den äußersten Mundpartien. Für Sekundenbruchteile. Dann erstarrt das Gesicht zur lebenden Statue.

Ein Weinkrampf hat Igor Boras geschüttelt, als er die Bilder vom Massaker in Sarajevo am vergangenen Wochenende im Fernsehen in Oslo gesehen hat. Die Granate schlug an jenem Tag ein, als ihm die Flucht nach Monaten erfolgloser Versuche gelungen war. Er war der letzte des kleinen Olympia- Aufgebots. Mit seiner Teilnahme hatte keiner mehr gerechnet. „Jeder muß sehen, wie er rauskommt“, sagt der 26jährige, „jeder für sich alleine.“ Ob als Bodyguard für VIPs oder mit Pressekarte wie Zaciragic. Jetzt sind sie da, in der Idylle, die den Winter von seiner herzlichen Seite zeigen soll: Spiel, Spaß, Sonne. 16 Tage lang.

Schwarz ist ihre offizielle Olympiakleidung. Schwarz ihr Blick. Man muß nur in ihre Augen blicken, um zu wissen, daß diese etwas gesehen haben, was kein Mitteleuropäer seit Ende des Zweiten Weltkrieges mehr sehen mußte. „Ich habe sechs Kilo in zwei Monaten verloren“, sagt Igor Boras, „nur wegen der nervlichen Anspannung.“ Im Vergleich zum Vorjahr gehe es Sarajevo besser. „Es gibt wenigstens ein bißchen Wasser, ein bißchen Strom.“ Nach offiziellen Angaben sind 9.800 Einwohner der Stadt getötet worden, darunter 1.600 Kinder. Igor Boras: „Der Krieg dauert 22 Monate zu lange.“

Wie kann man unter diesen Umständen noch an Training, Bestleistung, Wettkampf denken? Man kann nicht, das ist offensichtlich. Die zehn Athletinnen und Athleten geben sich Mühe, nicht nur als körperliche Hülle in Lillehammer anwesend zu sein. Andererseits wissen sie genau, welche Plattform sich ihnen bei Olympischen Spielen vor rund 5.000 internationalen Medienvertretern bietet. „Einige von uns wollen wieder zurück, was genauso schwierig ist wie hinaus zu kommen. Die Politiker wollen nicht begreifen, daß wir viel mehr tun können als mancher Botschafter oder Konsul.“

Igor Boras wird im Viererbob starten. Vorausgesetzt, sein Trainer treibt noch ein Gefährt auf. Der alte Bob ist zerschossen. Wie die Stadt, aus der er kam, einstmals selbst ein Symbol für die Olympische Idee. Aber das ist zehn Jahre her. Das Stadion ist heute ein Friedhof, die Eishalle Zetra, in der Jayne Torvill und Christopher Dean Bolero als Eis-Erotik zelebrierten, ein Trümmerhaufen, die olympischen Dörfer sind Kampfzone, die Abfahrtspiste ist eines der größten Schlachtfelder.

Ob Juan Antonio Samaranch mit einem Flug nach Sarajevo seine Solidarität bekunden wird? Der greise Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) schwankt zwischen Todesangst und der vermeintlichen Aussicht auf den Friedensnobelpreis. Sei's drum. „Es haben schon so viele berühmte Leute in Sarajevo vorbeigeschaut“, meint lakonisch Stjepan Kljuić, „genutzt hat es nichts“. Das Viererbob-Team wird bestehen aus Igor Boras, dem Kroaten, Serben und Moslems. Igor Boras: „Nationalismus spielt sich in den Köpfen viel zu vieler Menschen ab.“ Daß es auch anders geht, ja, das könne der Sport zeigen. Wenigstens etwas.

Ansonsten hat er, der zehn Monate als Pilot an der Front war („Keiner kann sich der Armee entziehen“), keine Illusionen mehr. Von wegen mens sana in corpore sano. „Auch Leistungssportler handeln kriminell.“ Von wegen Sport als reiner Quell gesunder Lebensfreude. „Das Leben schafft den Sport, umgekehrt funktioniert das nicht.“

Wie soll es auch? Wenn man trainiert zwischen Kugelhagel, auf Trümmern, nicht gejagt von der Stoppuhr, sondern von den Heckenschützen. Wo die größte Leistung nicht im Sport, sondern im Überleben besteht, wo die Bevölkerung hungert, hat der Sportler kein Anrecht auf erhöhten Kalorienbedarf. Keine Milch, kein Fleisch, keine Vitamine.

Woher dennoch Geld für den Sport fließt? Das japanische NOK habe 300.000 US-Dollar gespendet, das deutsche NOK dem olympischen Sport Bosnien-Herzegowinas und seinem Generalsekretär Pedrag Medjeski ein Dach im Deutschen Haus in Frankfurt geboten, die Türkei habe geholfen, in Norwegen trainiere ein Langlauf- Team seit acht Monaten, die alpinen Skiläufer fanden in Slowenien ihren Stangenwald.

Stjepan Kljuić: „Am 27. Februar fangen unsere Probleme erst an.“ Dem Team bleibe in zwei Wochen nur die tragische Alternative zwischen einem Flüchtlingslager („irgendwo auf dieser Welt“), oder der Rückkehr, sagt Nizar Zaciragic. „Helft ihnen doch, sie sind noch so jung“, plädiert er, den fast zwei Jahre Krieg mit 26 Jahren bereits steinalt werden ließen. „Sie“, er deutet auf das Häuflein der meist 15- bis 19jährigen – „sind unsere einzige Zukunft.“ Die älteren Sportler wurden eingezogen. Pedrag Medjeski: „Die besten Sportler sind im Krieg umgekommen.“

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