■ Parteienforscher R. Stöss zum rechten Wählerpotential
: Warten auf einen Führer

taz: Das „Superwahljahr“ 1994 steht auch unter der Fragestellung, ob es einer rechtsextremen Partei gelingt, in den Bundestag einzuziehen. Wie sehen Sie die Chancen?

Richard Stöss: Derzeit sieht es mit Blick auf die Bundestagswahl nicht so aus, als ob die Reps über die fünf Prozent kommen würden. Das bedeutet nicht, daß sie nicht in einzelnen Ländern diese Sperrklausel überwinden können. Bei der Europawahl sähe das noch günstiger aus, würden nicht sechs rechtsextreme Parteien antreten.

In den verschiedensten Studien hat man festgestellt, daß es in der Bundesrepublik ein Potential von etwa fünf bis sechs Millionen Menschen mit geschlossenem rechtsextremem Weltbild gibt. Warum setzt sich das nicht in Stimmen für eine rechtsextreme Partei um? Was wählen diese Leute?

Wir haben ein großes rechtsextremes Einstellungspotential, das seit der Vereinigung noch angewachsen ist. Dabei geht es vor allem um Personen mit nationalistischen, autoritären und rassistischen Einstellungen. Immer noch wählt die große Mehrheit von ihnen die Unionsparteien. Unsere Umfragen haben ergeben, daß 1990 in Westberlin RechtsextremistInnen zu 58 Prozent für die CDU votierten, zu 25 Prozent für die SPD und nur zu sechs Prozent für die Reps. Sieben Prozent hatten keine Präferenz, sind eher die Nichtwähler. Dieser Anteil ohne Präferenz stieg 1992 auf 28 Prozent an, die CDU lag immer noch bei 34, die SPD bei 17 und die Reps bei 11 Prozent. Heute sieht das ähnlich aus. Rep, DVU und NPD liegen zusammen bei etwa zehn Prozent. Die Union ist also immer noch der parlamentarische Arm des Rechtsextremismus. RechtsextremistInnen tendieren aber zunehmend zur Wahlabstinenz.

Die RechtsextremistInnen integriert zu haben, ist das denn keine historische Leistung der Union?

Unbestritten. Gleichwohl ging es den Unionsparteien in den 50er Jahren hauptsächlich darum, unliebsame Konkurrenz am rechten Rand des Parteiensystems möglichst schwach zu machen, um die eigene Machtposition nicht zu gefährden. Heute geht es um nichts anderes. Es geht nicht um eine inhaltliche Kritik an den programmatischen Aussagen der Reps, die im übrigen ganz stolz darauf sind, daß sich die CDU/CSU ihnen so stark angenähert hat.

In Einstellungsuntersuchungen kamen Sie immer wieder zu dem Ergebnis, daß der rechtsextrem eingestellte Mensch politisch kaum aktiv ist, ja zur politischen Apathie neigt. Ist das ein Grund für die Wahlenthaltung?

RechtsextremistInnen neigen erst einmal dazu, sich selbst nicht politisch zu betätigen. Sie erwarten, daß andere für sie aktiv sind. Das mögen Parteien oder Parteiführer sein, das kann auch der Staat mit seinem Repressionsapparat sein. Im Zweifel sind es auch Skinheads, die ein Asylbewerberheim überfallen. Das erregt den Beifall der RechtsextremistInnen. Die Wahlabstinenz wird man aber nicht auf die politische Apathie zurückführen können. Nach anfänglich ganz deutlichem Zuspruch vor allem für die Reps – die waren sicher 1989 der Hoffnungsträger – ist dieses Potential inzwischen sehr skeptisch geworden. Die Reps erfüllen ihre Erwartungen nicht. Die RechtsextremistInnen wollen geschlossene starke Parteien mit einem autoritären Führer, der alles im Griff hat. Schönhuber hat sich aber als unfähig erwiesen, diese Partei zu managen. Es ist natürlich auch bekannt, daß die Reps dort, wo sie in Gemeindeparlamenten oder im Landtag sitzen, nichts bewegen. Sie streiten sich um die Kasse oder bringen ihre Spezis in Jobs unter. Für viele Menschen aus diesem großen rechtsextremen Einstellungspotential sind die Reps ein Flop. Mangels anderer Alternativen oder aus Frust geht man dann nicht wählen.

In anderen europäischen Ländern sitzen Rechtsextreme im Parlament, in der Bundesrepublik nicht. Was können Haider und Le Pen, was Schönhuber nicht kann?

Le Pen ist es gelungen, das Lager zu einigen und auf sich einzuschwören. Haider ist schon sehr viel länger der unumstrittene Führer in Österreich. Deren Anhänger wissen auch genau, daß, wenn sie ihre eigenen Führer demontieren, die Parteien keine Chance haben. Der Rechtsextremismus hier ist aber so gespalten, so zersplittert, so uneinheitlich wie nirgendwo in Europa. Die deutsche Szene kann die optimalen externen Bedingungen gar nicht nutzen.

Optimale Bedingungen, ist das nicht übertrieben?

Sie waren für rechtsextreme Parteien noch nie so optimal in der Geschichte der Bundesrepublik. Die gesellschaftlichen Verwerfungen sind heute derart groß, und gleichzeitig ist das politische System, das Vertrauen in unsere politischen Institutionen, ja sogar das Vertrauen in die Demokratie im Augenblick im Niedergang begriffen. Die Polarisierung im Ost- West-Konflikt war für die Integration des Rechtsextremismus in die etablierten Parteien nach Kriegsende enorm wichtig. Das ist auch weggefallen. Dazu kommen die wirtschaftlichen und sozialen Probleme. Die Voraussetzungen für einen Erfolg des Rechtsextremismus sind also unzweifelhaft gegeben, wenn die Szene sich eint in einem gemeinsamen Bündnis unter einem neuen Führer.

Wenn nicht Frey, wenn nicht Schönhuber, wo müßte denn so ein neuer Führer herkommen?

Wenn es denn diese Integrationsfigur geben sollte, müßte sie vom dem rechten Rand der Unionsparteien kommen. Keiner der Politiker, die da in Frage kommen würden, möglicherweise Lummer aus Berlin oder Gauweiler aus München, würde derzeit angesichts der desolaten Situation des Rechtsextremismus das Risiko eingehen, aus seiner Deckung rauszugehen, um dieses zersplitterte Lager zu einigen. Das wäre politischer Selbstmord. Da müßten dann auch die Spannungen innerhalb der Unionsparteien so groß sein, daß sie nicht als Individuum, sondern mit einem nennenswerten Teil ihrer Anhänger und mit politisch erfahrenen Leuten kämen. Dafür ist die Zeit noch nicht reif.

Sobald die Reps Erfolg haben, sprechen Wahlforscher, Medien und Politiker immer von Protestwahl. Kann man davon beim fünften oder zehnten Wahlerfolg immer noch sprechen?

Die These der Protestwahl wird ja von fast allen Meinungsforschungsinstituten vertreten, selbst in der Wissenschaft. Die Botschaft ist immer, das sei alles gar nicht so dramatisch, die Leute wollten eigentlich gar nicht die Reps wählen, sondern die wollten nur ihrer eigenen Partei einen Denkzettel verpassen. Im Grunde handele es sich nach wie vor um SPD- oder CDU- Anhänger. Meine Untersuchungen zeigen aber, daß dies, wenn überhaupt, auf etwa 30 bis 40 Prozent der Rep-WählerInnen zutrifft. Die überwiegende Mehrheit der Rep-Anhänger – 1992 waren es bei Umfragen in Berlin 62 Prozent – hat eine ganz klare rechtsextreme Weltanschauung. Das sind nicht Leute, die die Reps aus Fun wählen. Wenn man heute sagt, die Reps seien eine Partei der Protestwähler, verharmlost man sie.

Wäre allein schon der Einzug der Reps in den Bundestag gefährlich?

Gefährlich sind die Reps nicht dann, wenn sie ins Parlament einziehen, sondern weil sie andere Kräfte im parteipolitischen Vorfeld, die vielleicht sogar nichts mit den Reps zu tun haben, zu rassistischen und ausländerfeindlichen Aktivitäten ermuntern. Die Reps bilden, ob sie wollen oder nicht, den Schutzschild für ausländerfeindliche Pogrome und andere Gewalttaten. Interview: Bernd Siegler

Richard Stöss ist am Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung der FU Berlin