„Nicht genug deutsche Blasmusik“

■ Antisemitische Äußerungen eines Stadtrates der Freien Wählergemeinschaft lösen hessenweit Empörung aus

Frankfurt/Main (taz) – Exakt 6.487 Seelen zählt die Stadt Volkmarsen im nordhessischen Landkreis Waldeck-Frankenberg. Dem idyllischen Marktflecken kam bislang nur als staatlich anerkanntem Erhohlungsort überregionale touristische Bedeutung zu. Am Mittwoch vergangener Woche hat nun ein Mann im Alleingang das verschlafene Städtchen in die Schlagzeilen gebracht: der Fraktionsvorsitzende der Freien Wählergemeinschaft (FWG) im Stadtparlament von Volkmarsen, Heinrich von Germeten (47). Als „ehrbare Kaufleute“ seien die Juden in Volkmarsen auch im Dritten Reich stets behandelt worden, sagte von Germeten in einer Replik auf die Anregung der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen, im Ort Hinweisschilder auf die ehemalige Synagoge und die jüdische Schule aufzustellen. Ohnehin, so von Germeten weiter, liege die „Reichskristallnacht“ mehr als 55 Jahre zurück – irgendwann müsse schließlich ein „Schlußstrich“ gezogen werden.

Doch damit noch nicht genug: Auf den Vorhalt aus dem Parlament, daß jüdische MitbürgerInnen auch aus Volkmarsen verschleppt und danach in Konzentrationslagern umgebracht wurden, sagte von Germeten: „Es interessiert micht nicht, wo die geblieben sind.“ In Volkmarsen jedenfalls sei „kein Jude eines unnatürlichen Todes gestorben“. Ohnehin sollten Bündnis 90/ Die Grünen damit aufhören, „diesen alten Kram“ wieder „aufzurühren“.

Noch älteren „Kram“ wollte von Germeten dann aber selbst gerne „aufrühren“: Seine FWG- Fraktion stellte den Antrag, den verwitterten Adler am Kriegerdenkmal an der Hahnenburg für die „Helden“ des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 für 4.000 Mark aus der Haushaltkasse wieder aufpolieren zu lassen. „Geplättet“ waren nach dieser Stadtratsitzung nicht nur die zwei Abgeordneten von Bündnis 90/ Die Grünen.

Für die SPD schämte sich der Stadtverordnete Harald Schacht für das, was von Germeten „hier von sich gegeben“ habe. Und auch Herbert Kleinschmidt von der CDU fand es „beschämend“, sich „so etwas“ im Gemeindeparlament anhören zu müssen. Für Bündnis 90/ Die Grünen hat sich nun „endgültig gezeigt, wes Geistes Kind Herr von Germeten ist“.

Als einziger Stadtverordneter weigerte sich der FWG-Frontmann bereits im vergangenen Jahr, eine von Bündnis 90/ Die Grünen eingebrachte Resolution gegen Ausländerfeindlichkeit zu zeichnen. Und nach dem Volkmarsener Viehmarkt beschwerte er sich im Rathaus lauthals darüber, daß im Festzelt „nicht genug deutsche Blasmusik gespielt“ worden sei.

Die Kreistagsfraktion Waldeck- Frankenberg von Bündnis 90/ Die Grünen wirft der FWG deshalb vor, eine „rechte Sammelbewegung“ geworden zu sein. Daß sich der Erste Kreisbeigeordnete Manfred Steiner (FWG) – im Landkreis haben sich SPD, FDP und FWG zu einer Koalition zusammengefunden – bislang noch nicht von den antisemitischen Äußerungen seines Parteifreundes distanzierte, wertete Reinhard Deutschendorf (Bündnis 90/ Die Grünen) als weiteren Beleg dafür, daß die FWG inzwischen ganz bewußt die „braune Karte“ spiele.

Vor dem Stadtparlament gab von Germeten am Dienstag abend nach Anträgen von SPD und FDP auf eine aktuelle Stunde zum Thema eine Erklärung ab, die eine „Entschuldigung“ (FWG) sein sollte – aber von keiner der anderen Fraktionen akzeptiert wurde. Laut von Germeten hätten die anderen ParlamentarierInnen in der vergangenen Woche bei seinem Vortrag das Wörtchen „jetzt“ überhört. Er habe am Dienstag vergangener Woche „lediglich“ gesagt, daß es ihn „jetzt“ nicht mehr interessiere, wo die Volkmarser Juden geblieben seien. Da reagierte auch der bislang stumm gebliebene parteilose Bürgermeister mit Empörung. Herr von Germeten, so der Rathauschef, habe die gesamte Stadt „in Verruf gebracht“. Wie Arno Walprecht von Bündnis 90/ Die Grünen gestern erklärte, wolle man jetzt die BürgerInnen zu Spenden für ein Projekt zur umfassenden Aufarbeitung der Geschichte der jüdischen MitbürgerInnen in Volkmarsen auffordern. Mit dem Geld soll dann auch der jüdische Friedhof restauriert werden, der im vergangenen Jahr von Rechtsradikalen verwüstet worden war. Klaus-Peter Klingelschmitt