: „De sitt dor mit'n breden Mors“
■ Niederdeutsche Debatte in der Bürgerschaft: Über Quiddjes und Dösdwaddel, Polit-Darsteller und Selbstironie
Da saß er nun, hatte Latein, Altgriechisch und selbst Hebräisch studiert und mußte sich trotzdem wort- und wehrlos die regionalvölkischen Sticheleien des Ersten Bürgermeisters bieten lassen. Henning Voscherau brachte niederdeutsch zur Bemerkung: „Da kümmt de ut Franken, kandedeert vör de Hamborger Börgerschoop und schnackt denn övern Hamborger Verkeer“.
Der so Angemachte grinste nur vor sich hin, denn Martin Schmidt (Grüne) ist wohl sprachkundig und auch wortgewaltig, doch wo es ums Plattdeutsche geht, bleibt ihm nur die Rolle des passiven Dösdwaddels.
Henning Voscherau dagegen nutzte am Mittwochabend die Gunst der Stunde und verbreitete eine schlichtgestrickte Regierungserklärung. Anlaß der ungewöhnlichen Debatte war ein Antrag des CDU-Abgeordneten Bernd Reinert, der Senat möge sich verstärkt darum bemühen, daß die niederdeutsche Sprache in die europäische Charta der „kleinen“ Sprachen aufgenommen wird (was einstimmig angenommen wurde).
Reinert begründete seine Initiative: „Wi wüllt, wat de Plattdüütschen jümehr Köpp wedder hoch dregen künnt. Dat gifft ok hüüttodoogs in Hamborch noch ,n Barg Lüüd, de mit Platt opwossen sünd, de dat as jümehr Moddersprook lehrt hebbt, und de dat lever snackt as Hochdüütsch, man dat sünd meist öllere Lüüd“.
Reinert scheute keine klaren Worte und handelte sich damit sogar einen mild-platten Ordnungsruf des amtierenden Präsidenten Rolf Kruse (CDU) ein. Der ließ folgenden Satz nicht ohne Tadel durchgehen: „De Hamborger Senot un sien Beamten sitt dor mit'n breden Mors un kiekt to, un se denkt sick wull ,Wat schall de Schiet'“.
Danach kam die Nagelprobe für die Plattkenntnisse der Politiker aus den anderen drei Rathausfraktionen. Alle waren mit Reinert einig und zogen sich sprachlich gut (Sabine Koch-Boehlich von den Grünen und Dieter Obermeier von der STATT-Partei) beziehungsweise gerade noch die Peinlichkeit vermeidend (Helga Weise, SPD) aus der Affäre.
Obermeier erlaubte sich sogar einen selbstironischen Scherz, als er vorschlug: „Wi künnt den Anndrag anneem, villich sogor mit wesselnde Meerheeden“. Doch er mußte sich von Voscherau (der an diesem Tag Sozialdemokratie und Hamburger Ureinwohnerschaft als Synonym benutzte) belehren lassen: „Mit de Meerheeden is dat in Hamborch wie mit dat Geld. Dat hett man, dor schnackt man nich över.“
Nach dieser Belehrung zog der begnadete Polit-Darsteller einen angeblich nicht bestellten Brief eines Buten-Hamburgers aus der Tasche und las vor, was er und seine Kumpels aus Wandsbek sich so wünschen. Weniger „Quiddjes“ (also Nicht-Hambuger und Nicht-Sozialdemokraten) und „Gröne“ in der Bürgerschaft, eine vierte Elbtunnelröhre, eine unternehmerbeflissene Wirtschaftspolitik.
Die Platt-kundigen SPD-Abgeordneten amüsierten sich köstlich, die weniger sprachkundigen Sozis freuten sich solidarisch mit, ein linker Sozialdemokrat aus Altona und ohne Bürgerschaftsmandat maulte im Foyer und Martin Schmidt grinste dazu.
Jürgen Oetting
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