Eine Amerikanerin in Berlin

Mit Beginn der Berliner Filmfestspiele ist der Eröffnungsfilm, Bernardo Bertoluccis „Little Buddha“, das Gespräch der Stunde. Das ist ja soweit ganz einsichtig, und ich will diese Obsession auch niemandem verübeln, aber ich bin nun mal aus New York, einer Stadt, wo alles so schnell wie nur möglich erledigt wird — also mache ich mir so meine Gedanken über den Eröffnungsfilm im nächsten Jahr. Werden die USA die Geschichte von Tonya Harding und Nancy Kerrigan ins Rennen schicken?

Laut der amerikanischen Filmzeitschrift „Variety“ (die für den Harding-Kerrigan-Skandal die Bezeichnung „Skategate“ fand) hat das Rennen um die Filmrechte einen Eislauf-Boom ausgelöst. In Hollywood ist das normalerweise kein Renner, denn jede Schauspielerin mit gesundem Menschenverstand weiß genau, daß man in Eislaufkostümen aussieht wie Carmen Miranda auf Rädern. Seit Carmen sich eineinhalb Meter Obst auf den Kopf häufte und dazu ihr Lied „Die Lady mit dem Tutti Frutti-Hut“ sang, ist auf diesem Gebiet die Konkurrenz gelaufen. Aber das ist Vergangenheit. Jetzt wetteifern Frauen in ganz Hollyword darum, auf Eisbahnen ihre Schenkel zu zeigen, um sich für eine Leinwandkeilerei zu qualifizieren. Wie die „New York Times“ zu berichten weiß, ist das Thema noch heißer als John Wayne und Lorena Bobbitt mit ihrem umstrittenen Beschneidungsruhm. Denn die Lorena will niemand spielen außer Sharon Stone („Basic Instinct“).

Das Problem mit dem Kerrigan-Harding-Projekt ist der Standpunkt: aus welcher Sicht soll der Film gedreht werden? Harding hat gesagt, sie selbst sehe sich als Meg Ryan (wenn man sich daran erinnert, daß Ryans größter Film- Moment ein Orgasmus im Feinkostladen war, in „Harry und Sally“, dann könnte sie als Eiskunstläuferin dem Wort frigid eine ganz neue Bedeutung verleihen.) Kerrigan sieht Harding vermutlich als Kathy Bates („Misery“). Hardings Verflossener findet für sich wahrscheinlich Tom Cruise passend, aber Harding zöge vermutlich Ralph Fiennes vor, der in „Schindlers Liste“ den sadistischen Nazi-Kommandeur spielt. Den einfallsreichsten Besetzungsvorschlag machte der Drehbuchschreiber Marty Kaplan: Roseanne Arnold für alle drei Rollen.

Berliner sollten sich aus zwei Gründen für diesen mörderischen Besetzungsclinch interessieren. Erstens: da das Filmfestival die Hauptdarstellerinnen der Eröffnungsfilme nach Berlin einlädt, sollte man sich schon jetzt überlegen, wen man lieber in Strumpfhosen sieht: Ryan oder Bates? Zweitens, und das ist wichtiger, bleibt die Kerrigan-Harding-Geschichte nicht folgenlos für Deutschlands Ansehen in der Welt. Sie läßt Deutschland gut aussehen. Hardings Verflossener und ihr Leibwächter attackierten Kerrigan nur, damit sie bei den Olympischen Spielen nicht gegen Harding antreten konnte. Das war kleinlich und herzlos. Wenn Deutschlands Neonazis über Olympiakandidaten herfallen, dann haben sie dafür Gründe.

Die Michael Milken-Story, die ebenfalls als der nächste Eröffnungsfilm in Frage käme, folgt Milken auf seinem Weg vom Wall Street-Gauner, der die Steuerzahler Millionen kostete zum Professor an der Wirtschaftsfaktultät der University of California in Los Angeles. Der berühmte Cartoonist Trudeau war von Milkens Karrierewandel so beeindruckt, daß er sich ein Video ausmalte, das zu Milkens Vorlesungen vorgeführt werden könnte. Da sähe man Milken in seiner Weisheit, wie er mit dem Geld anderer Leute die Grundstücke anderer Leute kauft, wie er aus der gerichtlichen Vorladung Origami faltet, Bestechungsgelder als Finanzierungskredite begreift, wie er die eigene Verhaftung arrangiert und die Medien zur Brust nimmt, und schließlich die Frage: läßt sich Geschichte kaufen, und wie finanziert man das?

Der letzte US-Kandidat für den Eröffnungsfilm des nächsten Jahres ist die Steven Harris-Story. Hollywood- Produzenten sind sich noch nicht so ganz darüber klar, ob Sergeant Harris von der New Yorker Polizei überhaupt eine Story vorzuweisen hat, aber es gibt jedenfalls Sammelkarten mit seinem Bild, ganz ähnlich den Bildern berühmter Baseballspieler, die amerikanische Jungen seit Jahrzehnten mit Begeisterung sammeln und tauschen. Die Karte des berühmten Mickey Mantle aus dem Jahre 1952 ist inzwischen 35.000 Dollar wert. Die langfristigen Möglichkeiten springen also ins Auge. Ich habe nur eine Frage: Die Polizei will diese Karten an städtische Jugendliche verteilen, damit „sie sich mit uns identifizieren können“, erzählte Harris der „New York Times“. Aber sind das nicht eben die Jugendlichen, die längst den Rodney King- Film gesehen haben? Wie soll das funktionieren? Marcia Pally

Aus dem Amerikanischen von Meinhard Büning

Marcia Pally ist Filmkritikerin für das Magazin „Penthouse“ und die Radiostation WBA 1 in Amerika und schreibt für die taz regelmäßig die Kolumne „Short Stories from Amerika“.