Aber gesehen haben wir nix

■ Aus dem Zeitalter des Übermuts: Klaus Wyborny im Forum

Diffuse Filmfarben, die ineinander verschwimmen, als sei es ein uralter flackernder Super-8-Film (in Wirklichkeit sind's 16mm), im Wortsinn schräge Einstellungen und häufige Schnitte, die Erinnerungsbilder aus Hamburg, Ägypten, Afrika und anderen Weltgegenden verbinden und ein authentisch unprofessionell gesprochener Text, prägen Klaus Wybornys „Komödie einer Biographie — Biographie einer Komödie“. „Dichtung und Wahrheit“, vierter Teil des fünteiligen „Zeitalter des Übermuts“, möchte „in Anlehnung an Goethes Darstellung seiner Jugendjahre einer Geisteshaltung zum Ausdruck verhelfen, in der das zum autonomen Beobachter erhöhte Individuum die Welt als eine Art Jahrmarkt betrachtet, der vor allem dazu dient, die eigene Wahrnehmungsfähigkeit zu versorgen“ schreibt der Hamburger Filmemacher.

Thematisiert wird also ein narzistisches Dandytum, an dessen Ende gewöhnlich der arrogante ennui des Kosumenten steht, der alles schon hat und nichts Schönes mehr findet in einer „Wirklichkeit, die nur noch als Karikatur vor sich hinvegetiert“. Als Leitmotiv taucht diese Langeweile immer wieder in Gestalt zweier weißgekleideter junger Männer auf, die nebeneinander vor einer reizlosen Baustelle sitzen und im Duett den immergleichen Satz wiederholen: „7 Meere haben wir durchfahren, seekranke Seemänner auf schwankendem Schiff, aber gesehen, gesehen haben wir nix.“

Das „Nix“ oder die Erfahrungslosigkeit, „dieser Trümmerhaufen, den man das eigene Leben nennt“ auf den der 48jährige Filmemacher auch ironisch zurückblickt, besteht aus kulturgeschichtlichen Anmerkungen und vor allem aus autobiographischen Sexgeschichten, die sich mit diversen Orten und Denkmälern verbinden: Luise, die Zufallsbekanntschaft, die das Film— Ich nach Ägypten lockte, um mit ihm auf den Spitzen von ein paar Pyramiden zu ficken — „So etwas kann ja der Beginn einer wirklichen Freundschaft sein“, auch wenn es sich technisch wegen der vielen Touristen nicht recht realisieren ließ; oder die Partybekanntschaft, bei der er sich einen Tripper holte; oder eine Portugiesin, mit der er sympathisch erfolglos versuchte, sich in Hauseingängen oder vor Ampeln in Hamburg-Altona zu vereinigen („es ging nicht“).

Die Asynchronität zwischen autobiografischer klavieruntermalter Erzählung und den melancholisch flackernden Bildern dieser Welt — Flamingos, Pyramiden, Ampeln, Märkte, Häfen, Posen nackter Frauen am Strand — mag formal ein bißchen an Achternbusch erinnern. Leider entwickelt der Text jedoch nie die gleiche Intensität und fällt hinter die Poesie der Bilder zurück. Gerade die zahlreichen Gedichte, die regelmäßig mit einem „Ach“ anfangen, wirken oft künstlich, betulich, fast peinlich. Da hilft es wenig, daß Wyborny seine alten poetischen Versuche sozusagen in Anführungszeichen zitiert.

1994 wirkt das „Zeitalters des Übermuts“ ein bißchen anachronistisch, denn die siebziger und achtziger Jahre, in denen das Gefühl, sich zu Tode zu amüsieren, mit dem gelangweilten oder zynischen Diktum vom Ende der Geschichte gerade in Westdeutschland korrespondierte, sind dabei, einem eher existenzialistisch geprägten „Zeitalter der Angst“ (W.H. Auden) zu weichen. Dennoch beeindruckt der Film, dessen Schwächen leichter zu beschreiben sind, als seine Stärken durch eine seltsame, hilflosmelancholische, angenehme Langeweile. Detlef Kuhlbrodt

Klaus Wyborny; „Aus dem Zeitalter des Übermuts„; D 1981-1994. 11.2. Arsenal 20h; 12.2.94 Akademie 22:15h