Die Universität hat Staatsferne bitter nötig

■ Die Universität muß vom republikanischen und ökologischen Prinzip ausgehen / Der Hochschulreformer Michael Daxner zu Gast in der Humboldt-Universität

Er hat der Bundesrepublik die Autobahnrechnung ausgestellt: Michael Daxner hatte wissen wollen, auf wieviel Kilometer Autobahn die Deutschen verzichten müßten, um ihr marodes Hochschulwesen zu sanieren. Daxner, Präsident der Universität Oldenburg, kam damals auf 450 Kilometer. Peter Glotz war weniger entschlossen: 200 Kilometer Schnellfahrspur wollte er sich sparen. Rainer Ortleb schließlich forderte gerade noch 50 Kilometer Autobahnverzicht. Aber eigentlich fordere er sie gar nicht. Er meine ja bloß. Nur so als Rechenexempel.

Daxners Prognose aber wurde bittere Wahrheit. Beim deutschen Verkehrswegeplan herrschte Spendabilität vor. Die Bildungsgipfel hingegen sollten mit allzu kargem Marschgepäck erklommen werden. Jetzt war der Vordenker Daxner, Hochschulpräsident und -forscher zugleich, wieder in Berlin. Seine Forderung lautete: Die Hochschulen müssen erstens konsequent den „Prozeß der menschlichen Selbstzerstörung“ zu ihrem Forschungsgegenstand machen. Und sie müssen dies, zweitens, auf demokratische Art und Weise tun. Diese „ökologische und republikanische Option“ hat der 47jährige nicht zum ersten Mal aufgestellt. Aber im Senatssaal „seiner alten Freundin“, der Humboldt-Universität, pointierte er sie – weil in den staatlichen Reformpapieren „nicht die leiseste Andeutung über den Sinn der Wissenschaft“ zu finden sei.

Die ökologische Option müsse als Fragestellung in jedes Fachgebiet Eingang finden, so Daxner. Welchen Beitrag zur „Reproduktion der Gattung“ kann die gerade behandelte wissenschaftliche Frage bringen? Das wäre das erkenntnisleitende Interesse.

Wichtiger aber war Daxner diesmal die, wie er sie nennt, „republikanische Option“. Die Schlüsselfrage einer Republik schlechthin sei die nach dem Spannungsverhältnis zwischen den Regierenden und den Regierten. Die Differenz zwischen ihnen stehe nämlich – anders als in der Monarchie – in der Republik „unentwegt zur Disposition“. In Deutschland komme der republikanische Streit darum, die Mengen der Regierten und der Regierenden einander anzunähern, allzu leicht zu kurz. Auf öffentlichen Streit ist indes kein anderer Bereich so sehr angewiesen wie die Wissenschaft. Wir müssen die „Wissenschaft zur öffentlichen Sache machen“. Ein klares Bekenntnis zum wechselseitigen Nutzen von Hochschule und Demokratie. Kaum ein anderer appelliert so eindringlich und überzeugend an diese Tugend der 60er Jahre wie der Oldenburger Uni- Präsident – und formuliert daraus Notwendigkeiten: Die Hochschulen hätten mehr Staatsferne bitter nötig. Professoren aber und Studenten verhielten sich wie „vordemokratische Hintersassen“. Sie kennten ihre demokratischen Rechte nicht. Sie würden immerfort den Staat um Erlaubnis fragen. Oder die Parteien, an deren Garderoben die BürgerInnen ihren Anspruch auf öffentliche Selbstbeteiligung ablieferten. Genau daran sei schon die Weimarer Republik gescheitert.

Daxner, der Österreicher, weiß „Schmäh“ auszugießen. „Professoren, die sich auf das 73er Urteil berufen, demütigen sich selbst“, kommentierte Daxner die – abgewiesene – Klage verschiedener Humboldt-Professoren gegen die heute beendeten Gremienwahlen. Die Professoren hatten sich auf das Urteil des Verfassungsgerichts von 1973 berufen, nach dem richtige Professoren nur von ihresgleichen gewählt werden dürfen.

Daxner, der über eine „utopische Pädagogik“ auf der Grundlage der Schriften Ernst Blochs promovierte, verknüpft die Lebenstüchtigkeit der Hochschulen unmittelbar mit der Überlebensfähigkeit der Gesellschaft. Er machte dies auf drastische und aktuelle Art deutlich. Angesichts des Anschwemmens Tausender Giftbeutel an der Nordsee forderte Daxner ein Eingriffsrecht für die Hochschulen: „Wenn wir könnten, würden wir die Produktion bestimmter Sachen längst gerichtlich gestoppt haben. Keiner weiß es doch besser als wir, was da für ein Zeug hergestellt wird.“ – Eine ökologische Option. Christian Füller