Zwischen den Rillen
: Zu enge Hosen

■ Reformhöllenkapitalismus: Cpt. Kirk &, More Extended Versions, Die Regierung

Drei dicke Brocken zusammen auf einer Platte: Der Hamburger Musiker Tobias Levin versucht auf der neuen CD seines Projekts Cpt. Kirk & eine Verknüpfung von Jazz, Sozialismus und Pop, das Ganze im Zeichen einer neo- engagierten, urbanen Jungmännerempfindlichkeit.

Wer soviel wagt, stößt bei den notwendigen Bohrungen, wenn er sich an Billy Bragg und einigen anderen vorbeigearbeitet hat, fast automatisch auf Robert Wyatt. Der ehemalige Soft Machine- Drummer, nach einem Fenstersturz gelähmt, hat schon Anfang der Achtziger Stalin in grellen Rot-grün-Kontrasten vertont. Gemeinsam mit dem Wiener Duo The More Extended Versions teilen sich Cpt. Kirk & je zur Hälfte den Speicherplatz auf „Round About Wyatt“. Der Titel ist zugleich Anspielung auf einen Jazzfilm, Thelonious Monks „Round Midnight“ und eben den Mann im Rollstuhl, Robert Wyatt.

Während bei Weltmusik und Crossover Dinge in einen Topf geworfen werden, die nach dem Zusammenkochen nicht mehr schmecken, werden hier die verschiedenen Popuniversen nicht krampfartig zu einem neuen Ganzen zusammengefügt, sondern existieren weiter als ineinander hineinirisierende und doch letztlich unabhängige Paralellwelten. Levin versucht das Kunststück, Monks „Round Midnight“ mit Piano, rauchzarter Stimme, soft fallenden Trommelsticks, Klarinettensolo und Kontrabass, traditionellem Jazz-Equipment also, in einen Popsong zu verwandeln. Und merkwürdigerweise gelingt ihm das sogar, obwohl sein Englisch deutsch klingt – und seine Stimme, als hätte er eine Kartoffel verschluckt. Oder deswegen?

Nachdem Levin auf seiner letzten Platte durch die „Reformhölle“ gegangen ist, in der er, als hätten sie ihn gerade von Station 17 entlassen, Selbstgespräche mit Vasen führte („Hallo Vase, Vase von innen“) und Telefonate mit der Hamburger Verwandtschaft abhörte, ist er nun in der sogenannten Gegenwart gelandet: bei Mördern und Rassisten. Und das sind zum Glück immer die anderen. So wird aus Cypress Hills „How I Could Just Kill A Man“ bei Cpt. Kirk „How He Could just kill a man, I can't understand“ – Hamburg ist nicht L.A., Levin nicht Snoop Doggy Dogg.

Distanzieren soll man sich auch vom „Racist Friend“. Der Special Aka-Song glänzt mit der einleuchtenden Parole: „Wenn du einen rassistischen Freund hast, dann ist jetzt die Zeit, diese Freundschaft zu beenden.“ Da bleibt dann nur die Rückbindung an längst ausgestorben geglaubte sozialistische Bezugssysteme. Reformhöllenkapitalismus after Wyatt.

Die zweite Hälfte der CD gehört den Extendend Versions, die schon vor dieser Gemeinschaftsplatte eine eigene CD mit Wyatt- Sachen aufgenommen haben. Unter dem hübsch loser-mäßigen Titel „Dedicated To You, But You Weren't Listening“. Jetzt hören wir aber mal gebannt zu und, tatsächlich, was Helmut Heiland (!) von den Extended Versions sich vorgenommen hat, funktioniert. Vor allem die Stimme von Sigrid Ecker mit den anderen im Chor klingt wie Wyatt himself. „Ich darf protestieren, das muß Freiheit sein“, sang Wyatt 1981. Zynismus hilft auch heute, nur protestiert keiner mehr.

Das Universum des Tilman Rossmy, Kopf der Formation Die Regierung, kreist mehr um die kleinen Dinge des Alltags. Auf seiner vierten Platte ist er nicht mehr einfach „so drauf“ (LP-Titel), sondern ganz „unten“ angekommen, ungefähr da, wo die Hose eng wird. So singt er auch, der Gute. Rossmy nimmt uns an die Hand und führt uns mit nuschelig-nöliger Stimme an der Reihe seiner Freundinnen vorbei. Blöd: Er kann sich nicht so recht entscheiden, was er da will. Alles, oder doch lieber nichts? oder beides? Das ist nämlich alles so eine Sache: „Die Sachen, die wir uns sagen, bringen uns bloß durcheinander.“ Endlich hat er das „Mädchen, das jeder will“, und dann sollen wir ihn auch noch bedauern: „Du möchtest an meiner Stelle sein, aber ich denk, ich wär' lieber wieder allein.“ Immer das gleiche mit „Nathalie“. (Oder „Corinna“. Oder „Charlotte“)

Allein kommt er aber auch nicht lange klar. „Unten“ bringt aktuell-altmodische Botschaften aus der Postpubertät, die einen heute ja mit Mitte dreißig noch nicht losläßt. Verharren wir also mit Rossmy in der Tragik der ersten Liebe, die alle zwei Wochen mit anderem Personal neu beginnt. Wir regredieren fröhlich, und was früher peinlich war, ist plötzlich o.k. – wie Helge Schneider hören und „Lindenstraße“ sehen. Andreas Becker

Cpt. Kirk &/The More Extended Versions: „Round About Wyatt“ (What's So Funny About...).

Die Regierung: „Unten“ (L'Age D'Or).