Anarchie und subversive Narren

Im Rheinland lagen närrisches Treiben und der Aufruhr gegen Preußen dicht beieinander. Erst ab 1850 verkam der politische Karneval zur Verherrlichung des Militärs  ■ Von Klaus Schmidt

Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts geriet Europa in Bewegung. Die Völker kämpften um Freiheit, um Volkssouveränität: die Spanier gegen ihre Könige, die Österreicher gegen Metternich, die Rheinländer gegen die Preußen. Bald gärte es überall. „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ hieß die Parole. Eigentum ist Diebstahl, Religion ist Opium für das Volk. Revoltierende Arbeiter starben auf den Barrikaden, Studenten kamen in den Knast, Professoren wie die „Göttinger Sieben“ wurden amtsenthoben. Doch die Mehrheit schwieg. Die Wortführer mußten fliehen: Georg Büchner in die Schweiz, Karl Marx nach Paris. Heinrich Heine schrieb aus dem französischen Exil: „Es gibt einen großen, großen Narren, und der heißt: das deutsche Volk. Seine buntscheckige Jacke besteht aus sechsunddreißig Flicken. An seiner Kappe hängen, statt der Schellen, lauter zentnerschwere Kirchenglocken, und in der Hand trägt er eine ungeheure Narren- Pritsche von Eisen. Seine Brust aber ist voll Schmerzen. Nur will er an diese Schmerzen nicht denken. Und er reißt deshalb umso lustigere Possen, und er lacht manchmal, um nicht zu weinen.“

Oder er feiert Karneval am Gängelband der Preußen. Die erlaubten 1829 „Carnevals-Masqueraden“ nur dort, wo sie – wie in Köln – vorher schon üblich waren. Also nicht in Bonn oder Aachen. Die Empörung war groß. In der Kölner Karnevalszeitung riß man kölsche Witze über die Preußen. Der Polizeipräsident, dieser Sprache nicht mächtig, wußte nicht, was er zensieren sollte. Was tun? fragte er den König. Verbieten! war die Antwort. Die Kölner, voller Wut, führten daraufhin einen Hanswurst in Ketten durch die Straßen. Die Behörden erschraken. Mit königlicher Erlaubnis durfte das Volk, der große Lümmel, nun wieder feiern, wie es wollte, durfte Dampf ablassen, auf daß es die „chimären Ideen“ von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nicht zu ernst nähme. Generalmajor Baron von Czettritz (er gilt als Erfinder der Narrenkappe) stieg voll auf die Strategie um und stellte – als Kommandeur der Kavalleriebrigade – den Kölnern für ihren Rosenmontagszug sechs Schimmel zur Verfügung. Da schunkelten dann sogar echte Prinzen mit: Friedrich und Wilhelm. Der Vater Friedrich Wilhelm IV. drückte ein Auge zu. Solch preußischer Klüngel animierte einen Friedensrichter in Zell an der Mosel, dem Amtsschimmel die Narrenkappe aufzusetzen: er erlaubte Umzüge, weil das Verbot noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht war.

In Köln war derweil (1842) die Rheinische Zeitung gegründet worden, in Form einer kapitalistischen Aktiengesellschaft – mit Karl Marx als Chefredakteur (sujet jitt et nur bei uns in Kölle). Robert Eduard Prutz pries darin ein Jahr später – pünktlich zum Rosenmontag – das Narrentum als subversive Methode:

„Eher wird die Welt nicht frei

Glaubet dem Propheten!

Eher wird der Sklaverei

Nicht das Haupt zertreten.

Wenn die Welt erst närrisch

wird

Wird sie bald vernünftig –

Heut gebercht/Heut geschwirrt

Und das Andre künftig.“

Einen Tag später wurde die Rheinische Zeitung verboten, nicht ohne Mithilfe von besorgten Bürgern. Prutz schrieb ihnen noch ein Gedicht ins Stammbuch:

„Hütet euch vor Liberalen,

Die bei schwelgerischen Malen,

Bei gefüllten Festpokalen

Turm der Freiheit sich genannt.

Und die doch um einen Titel

Zensor werden oder Büttel

Oder gar ein Denunziant.“

Bleibt festzuhalten: Vom Vorgehen gegen die Rheinische Zeitung abgesehen, war 1843 eher ein ruhiges Karnevalsjahr. Es war die Ruhe vor dem Sturm.

1844. Das Jahr beginnt mit Ernstem und Heiterem. In Schlesien erheben sich die Weber. In Paris bereiten Marx und Engels das „Kommunistische Manifest“ vor. Heinrich Heine veröffentlicht „Deutschland, ein Wintermärchen“ („Denk ich an Deutschland in der Nacht ...“), Heinrich Hoffmann den „Struwwelpeter“. Der Bischof von Trier hängt den „Hl. Rock Christi“ auf – als Antwort auf das „Fest der reinen Vernunft“ an der Königsberger Uni.

In Köln sitzt im Weinhaus „Zur ewigen Lampe“ der Zigarrenhändler und politische Karnevalist Franz Raveaux und hält im Freundeskreis feurige Reden gegen den Klüngel der betuchten Bürger. Kurz darauf wird die alternative „Allgemeine Carnevals-Gesellschaft“ gegründet. An die Stelle von „Held Karneval“ tritt der anarchische Hanswurst (kein harmloses Kölsch-Hänneschen), der die Narren zu frechen Maskeraden und wilden Gesängen aufstachelt. Aufruhr liegt in der Luft.

In Düsseldorf wird der „Haupt- Carnevals-Verein“ verboten. Begründung: „politische Tendenzen unter dem Deckmantel der Fastnachtsvergnügungen“. Was tun? Zum Karneval per Schiff nach Köln!

Die Vernetzung macht Fortschritte. Im Juni laden die Karnevalsgesellschaften von Köln, Bonn, Düsseldorf, Koblenz und Mainz auf die Rheininsel Nonnenwerth ein. Wortführer: Franz Raveaux. Polizeispitzel schreiben eifrig mit. Die Zensur hat vorher schon das Wort „Freiheitsband“ auf Flugblättern durch „Freundschaftsband“ ersetzen lassen.

Zwei Jahre später haben die Düsseldorfer wieder Pech. Ihr liberaler Karnevalsverein („Wir haben uns unter die schirmende Narrenkappe geflüchtet, bewaffnet statt des Schwertes mit der Pritsche“) hat musischen Prominenten die Ehrenmitgliedschaft angetragen. Der Zensor erläßt wegen der „verbrecherischen Natur“ des Schreibens Druckverbot und kassiert ein Verzeichnis der Personen, die ein Ehren-Diplom erhalten haben, darunter Ferdinand Freiligrath und Franz Dickens, Felix Mendelssohn-Bartholdy, Robert Schumann, Albert Lortzing, Aurora Gräfin von Dudevand genannt George Sand – und natürlich Franz Raveaux. Der hört nicht auf, die Obrigkeit offen anzuprangern.

Im August 1846 entlädt sich die politische Wut in Köln auf den Straßen. Auslöser sind verbotene Feuerwerke bei der Martinskirmes. Es kommt zu blutigen Ausschreitungen der Polizei. Unter Führung von Franz Raveaux werden demokratische Forderungen durchgesetzt. Die Stadtverwaltung genehmigt die Aufstellung einer unbewaffneten Bürgerwehr. Zwischen ihr und der Regierung kommt es immer wieder zu ernsten Zusammenstößen. Der König im fernen Berlin kann es nicht fassen. Mit „gerechtem Schmerz“ klagt er: „Die Aufhebung gegen die öffentliche Gewalt ist überall ein schweres Verbrechen, am meisten in einer Stadt, welche mit Recht als ein Bollwerk Deutschlands gilt.“

1848. Das Jahr der Revolutionen. Die gekrönten Häupter samt ihren Schleppenträgern ergreifen die Flucht. Doch die Aufstände in Europa werden nach und nach niedergeschlagen. Napoleon wird Präsident, später Kaiser. Die USA reißen sich Arizona, Neu-Mexiko und Kalifornien unter den Nagel. Natürlich gibt es in Deutschland auch unblutige Ereignisse: der „Deutsche Turnerbund“ entsteht, die „Deutsche Bischofskonferenz“ und das politisch-satirische Witzblatt „Kladderadatsch“.

Im Kölner Karneval schlagen die Wellen hoch. Am 3. März – einen Tag nach Weiberfastnacht – marschieren mehrere tausend Handwerksgesellen zum Rathaus, an ihrer Spitze der Armenarzt Andreas Gottschalk. Vor versammeltem Gemeinderat fordert er allgemeines Wahlrecht, Pressefreiheit, Volksbewaffnung und Vereinigungsrecht. Die Herren zaudern, die Menge stürmt ins Haus, ein Ratsherr springt in Panik aus dem Fenster und bricht sich die Beine, das Militär räumt, Gottschalk und andere werden verhaftet.

Die Solidarität mit ihnen ist groß, sogar bei der konservativen Kölnischen Zeitung:

„Der Narrheit Licht entflamme,

erleuchte uns mit Rath.

Wenn Bosheit gräbet Gruben,

so hockt nicht in den Stuben,

auf schreitet rasch zur Tath.“

Franz Raveaux wird nicht verhaftet. Er fährt unbehelligt nach Frankfurt zu ersten Deutschen Nationalversammlung in die Paulskirche – als Abgeordneter. Zwei Tage später – am 20. März – weht vom Kölner Dom die schwarz-rot-goldene Fahne der Republik – mit Einverständnis des Erzbischofs Johannes von Kissel (der damit dem antikatholischen Preußen-König eins auswischt). Wenig später wird Franz Raveaux Mitglied im Berliner Ständeparlament – ein weiterer Frust für den Monarchen. Doch dann treibt es der Rebell zu weit. Er nimmt am Badener Aufstand gegen die Preußen teil, wird in Abwesenheit zum Tode verurteilt und stirbt 1851 im belgischen Exil – nicht ohne Freunden noch neue Karnevalslieder nach Köln geschickt zu haben. In der Universitätsstadt waren bis 1843 alle karnevalistischen Veranstaltungen verboten worden.

Überragender Kopf war in jenen Jahren Gottfried Kinkel (1815–67), Privatdozent für protestantische Theologie, später Kunsthistoriker, zusammen mit seiner Frau Johanna, Ferdinand Freiligrath, Jacob Burkhardt und anderen Hauptfiguren der Literaturszene. Als radikaler Demokrat gründete er 1848 den „Demokratischen Verein“, wurde Redakteur der Bonner Zeitung und 1849 – wie Raveaux – als Vertreter der Linken Abgeordneter der zweiten Kammer des Berliner Ständeparlaments.

Seine Texte für den Karneval steigerten sich vom eher harmlosen „Bürgerlied“ („Nicht zur Lust allein sind wir verbunden, nicht für eine kurze Faschingszeit ...“) bis zur politischen Analyse dieses die Massen verbindenden Festes: „... Darin lag die Wichtigkeit des Karnevals für die Entwicklung der rheinischen Demokratie, darum wurde er von höheren Beamten gehaßt und jeder verdächtigt und herabgewürdigt, der zu diesen ,Pöbellustbarkeiten‘ herabstieg. So ging es auch mir.“

Am Karnevalssamstag 1849 verurteilte das Kölner Zuchtpolizeigericht Kinkel wegen Verleumdung des preußischen Militärs zu einem Monat Gefängnis. Nach Auflösung des Berliner Parlaments stürmte er zusammen mit anderen Bonner Bürgern das Siegburger Zeughaus, um dort Waffen zu holen. Das Unternehmen scheiterte. Danach beteiligte er sich – wie Raveaux – am Aufstand in Baden, wurde verwundet, gefangen und zu lebenslanger Haft verurteilt, aus der ihn ein Freund und Mitstreiter befreite. Nach Amerika-Reisen und langjährigem Aufenthalt in England endete seine Odyssee in Zürich, wo er eine Professur für Kunstgeschichte erhielt.

Nach 1850 ebbte der politische Karneval ab. Man gründete zwar noch emsig Karnevalsgesellschaften, aber die sollten durch ihre Vielzahl vor allem die polizeiliche Bespitzelung erschweren. Hin und wieder wurde noch das Militär karikiert (nicht zu frech), aber nach der Gründung des Deutschen Reiches unter Wilhelm I. waren die allermeisten rebellischen Spuren ausgelöscht, schien Anarchie nicht mehr machbar.

Vorbei das Bewußtsein, ein von Preußen erobertes Land zu sein. Das Militär wurde nunmehr verherrlicht, nicht mehr verarscht. Die „Roten Funken“ bildeten allen Ernstes eine Funken-Infanterie samt -Artillerie. Konsequenterweise reihten sich auch echte Kommißköppe in den Karneval ein: Stabsmusiker komponierten für die Bütt, auch den Funken- Marsch. Es gab Germanen- und Walküre-Gruppen, als Motto „Die Eröffnung des Suezkanals“ oder „Held Karneval als Kolonisator“: Operetten-Militarismus!

Der herrschenden Gewalt – einem Koloß auf schon recht tönernen Füßen – wurden schaurige, aber durchaus ernst gemeinte Knittelverse dargebracht: „Und wer ein Weiser, juble sich heiser: Hoch lebe der Kaiser!“ Dem wurde von Bonner etablierten Narren dann auch noch die Ehrenmitgliedschaft in ihrem Verein angetragen! Als der letzte Monarch 1918 mit wunden Füßen nach Holland ins Exil eilte, rief man ihm wenigstens noch auf echt rheinische Art nach: „Heil dir im Siegerkranz – häss do de Botz noch janz?“ Alles in allem: Anregungen genug für radikaldemokratische Närrinnen in Bonn, Berlin und anderswo.