„Sonst hörst Du den Hunger nicht“

■ Muslime in Hamburg und der Beginn des Fastenmonats Ramadan Von Ruth Hoffmann

Ab heute wird gefastet. Seit 5 Uhr 29 dürfen gläubige Muslime weder trinken noch essen, denn heute beginnt der islamische Fastenmonat Ramadan (türkisch: Ramazan), dessen strengem Tagesrhythmus sich bis zum 12. März Muslime in aller Welt unterwerfen werden. Auch für viele in Hamburg lebende Anhänger des Islam ist das jährliche Fasten heilige Pflicht und Eckpfeiler ihrer Religion.

In der kleinen türkischen Moschee an der Barnerstraße in Ottensen liefen schon seit Wochen die Vorbereitungen für den ersten Fastentag. „Wir alle lieben Ramazan“, sagt Fatih Caglar, Vorsteher der Gemeinde, und die Männer, die in der Kantine neben der Moschee aus winzigen Gläsern ihren Tee schlürfen, nicken zustimmend. „Jedes Jahr erwarten wir den Beginn, denn es ist eine schöne Zeit und gut für die Gemeinde“, erklärt Caglar.

Der Beginn verschiebt sich jedes Jahr um zehn Tage, so daß die Gläubigen Ramazan zu allen Jahreszeiten erleben. Die Dauer beträgt, so will es der Koran, genau eine Mondphase – von Neumond zu Neumond. Während dieser Zeit muß jeden Tag von der ersten Morgendämmerung bis zum Anbruch der Dunkelheit gefastet werden. Ein Kalender legt Gebets- und Essenszeiten auf die Minute genau fest.

Gläubige Muslime lesen während der 29 oder 30 Tage des Ramazan den gesamten Koran, von der ersten bis zur 604. Seite. Mit einem großen Fest wird am letzten und dem darauf folgenden Tag das Ende des Fastens gefeiert, mit Geschenken, Süßigkeiten und natürlich mit gutem Essen.

Heute morgen nun hat Ramazan begonnen. Das sonst eher gleichförmige Leben in der Altonaer Gemeinde ändert sich in dieser Zeit erheblich. Der kleine, mintgrün getünchte Gebetsraum im ersten Stock kann die zahlreichen Gläubigen, die zu den Gebetszeiten in die Moschee strömen, nicht alle fassen. So behilft man sich damit, die Kantine mit Teppichen auszulegen und den Gesang des Vorbeters mit Mikrofonen aus der Moschee zu übertragen.

Nach Anbruch der Dunkelheit findet ein großes gemeinsames Essen statt, zu dem jeder etwas beisteuert. „Es ist jedesmal wie ein Fest, wieder essen zu dürfen“, bemerkt Vorbeter Caglar. Hier liegt für viele Moslems der Sinn des Ramazan: Was sonst selbstverständlich ist, bekommt wieder Bedeutung.

Für den 18jährigen Osman ist es die Zeit, in der er seinen Glauben ausleben kann. „In der Schule komme ich sonst nie richtig dazu“, sagt er, „das Freitagsgebet zum Beispiel kann ich nie wahrnehmen“. Vor allem aber sei Ramazan für seine Eltern und Großeltern von Bedeutung, für die das Fest oft die einzige Verbindung zu ihrer Heimat ist.

Im Gymnasium Max-Bauer-Allee in Altona, wo er zur Schule geht, habe er keine Schwierigkeiten während des Fastens. „Viele wundern sich“, sagt er, „aber im Grunde respektiert es hier jeder.“ So sieht es auch der Religionslehrer. Günter Grassau bemüht sich schon beim Unterricht in der Unterstufe, Verständnis für die unterschiedlichen religiösen Bräuche zu schaffen. Das Fasten eines Mitschülers, so seine Erfahrung, werde von allen toleriert. „Wir sind ohnehin eine multikulturelle Schule“, ergänzt er.

Aber nicht alle Hamburger Moslems folgen in diesen Tagen dem Ruf des Koran: Gemüsehändler Aydin Camci nimmt es nicht allzu genau, es sei aber „ganz gut zum Abnehmen“. Der junge Verkäufer neben ihm nickt dazu, mag sich aber selbst nicht äußern. „Am schönsten ist das Abschlußfest“, fährt Camci fort, „das ist wie Weihnachten“.

Die Mehrheit der Hamburger Moslems wird sich nach Ansicht von Vorbeter Fatih Caglar an Ramazan beteiligen, abgesehen von denen, die dafür körperlich nicht stabil genug sind. Schwangere Frauen, Alte oder Kranke sind laut Koran von der Fastenpflicht befreit.

Besonders viel liegt Caglar daran, daß seine Gemeinde während des Fastens ein Bewußtsein dafür entwickelt, daß viele Menschen unfreiwillig hungern müssen. In der Moschee häufen sich jedes Jahr zu Ramazan Lebensmittel- und Kleiderspenden, die mit dem Lastwagen der Gemeinde nach Bosnien transportiert werden. Für Fatih Caglar hängt die Spendenbereitschaft der Gemeindemitglieder eng mit dem Fasten zusammen: „Ohne Ramazan hörst du den Hunger nicht“.