Wein-Klecks und Wodka-Tränen

■ Literaturhaus: Als Hommage an den jüngst verstorbenen Werner Schwab lasen Hamburger Schauspieler dessen Texte

Was für ein Gedränge! Der Chronist konnte nur mit Mühe den unbequemen Holzstuhl behaupten, den er sich geistesgegenwärtig erstritten hatte. Von hinten drückten die Knie des Hintermannes an der Stuhllehne, von der Seite drängte das Gesäß der Nachbarin. Andere hatten noch weniger Glück. Fast wäre der Blondine schräg hinter dem Chronisten das Karäffchen Pinot Grigio über das beige Kostüm gekippt. Viele mußten gar stehen. Gerammelt voll war Donnerstag abend der Saal des Literaturhauses. Da sage noch einer, Werner Schwab ziehe nicht mehr. Außerdem war der Eintritt frei.

Am Silvesterabend ist der österreichische Dramatiker in seiner Geburtsstadt Graz 35-jährig gestorben. „Eine feige Sau ist so ein Glück. Eine Lesung für Werner Schwab“, unter diesem Motto hatte man sich ihm zu Gedenken zusammengefunden. Das mag danach klingen, als würde der Fäkal- und Extrem-Schriftsteller postum mit der höheren Dichterweihe geschlagen; es wurde ganz anders. Unter den Zuschauern herrschte trotz der Enge beste Laune.

Zur Einstimmung dröhnte Punk, Schwabs Lieblingsmusik, durch die prächtigen Hallen. Sodann lasen Mitglieder der Gruppe Babylon, des Schauspielhauses sowie des Thalia Theaters ein Potpourri aus seinen Texten. Highlights aus Hamburger Inszenierungen „Die Präsidentinnen“, „Volksvernichtung“ und „Übergewicht, unwichtig: Unform“; Ausschnitte aus dem Prosaband „Abfall, Bergland, Cäsar“; und auch das legendäre „Theater heute“-Interview vom Dezember 1991, in dem Schwab das deutsche Theater kurzerhand für anachronistisch erklärt, um sich im selben Atemzug als dessen Retter zu präsentieren, indem er „Sprache in Menschenfleisch“ verwandle und umgekehrt.

75 Minuten Best of Schwab, intelligent ausgewählt und mit Esprit vorgetragen. Das Publikum nahm's dankbar auf, verfolgte aufmerksam das Schwabisch, die so natürlich klingende Kunstsprache des Autors, quittierte die bekannten Bonmots (“Wir sind in die Welt gevögelt und können nicht fliegen“) mit Lachern und zeigte während der Kinderschänder-Szenen stille Betroffenheit. Zum Schluß noch ein Punkstück, großer Applaus, das war's.

Alle waren zufrieden, nur einer wirkte etwas traurig: der Chronist. Zwar hatte auch er sich, zumal von der Routine Barbara Nüsses und der Vehemenz Markus Boysens, die Texte willig näherbringen lassen. Aber ein schaler Nachgeschmack blieb. Für diesen Autor war der Abend zu nett und zu keimfrei. So kippte der Chronist spätabends noch einen Wodka. Schließlich hat Werner Schwab, als er noch lebte, nichts anderes getrunken.

Dirk Knipphals