„Schwarze Teufel, edle Mohren“

■ Interview mit Peter Martin zur Geschichte des Afrikabildes der Deutschen

Herr Martin, 1993 erschien im Junius Verlag Ihr hervorragend recherchiertes Buch „Schwarze Teufel, edle Mohren. Afrikaner in Bewußtsein und Geschichte der Deutschen“. Was war die Ausgangsfrage Ihrer Untersuchung?

Peter Martin: Eine der Schwierigkeiten des Umgangs von Deutschen mit Afrikanern besteht ja immer darin, daß, wenn man hierzulande einen Afrikaner auf der Straße erblickt, sich sofort Bilder zwischen uns und diesen Afrikaner schieben. Meine Frage war in diesem Zusammenhang: Was sind das für Bilder, wo sind sie entstanden und wie wirken sie in unserem Bewußtsein und bestimmen unser Verhältnis zu den „wirklichen“ Afrikanern?

Ich bin zu diesem Zweck zurückgegangen an den Anfangspunkt der deutsch-afrikanischen Beziehungen, d.h. ungefähr in die Zeit der Kreuzzüge. Im Zuge dieser militärischen, wirtschaftlichen und kulturellen Auseinandersetzungen zwischen Christentum und Islam bildeten sich bestimmte tragende Bilder heraus, z.B. das Bild vom Heiden, vom Antichristen. Dem Afrikaner schob man damals bereits etwas „spezifisch Teuflisches“ unter. Viele Vorurteile und Vorstellungen der Deutschen knüpften auch an Bilder der Antike oder der germanischen Kultur an.

Sie haben in Ihrem Buch den ambivalenten Charakter, die Doppelgesichtigkeit dieser Bilder herausgearbeitet. Wie sah denn im Mittelalter die andere Seite des Heidnischen bzw. des Teuflischen aus?

Die andere Seite des Bildes vom Afrikaner als „Heiden“ zeigt den bewunderten Gegner, den Repräsentanten einer ideologisch, wissenschaftlich und militärisch absolut überlegenen Kultur. Diese Überlegenheit wurde als etwas Beneidenswertes empfunden, etwas, was man an sich selbst vermißte. Das Grundprinzip der Ambivalenz setzt sich auch in späteren Zeiten fort und bekommt immer wieder neue Konnotationen, je nach historischem Kontext und je nach dem, aus welcher sozialen Position heraus das Ganze betrachtet wurde. Und etwas anderes ist ganz entscheidend: An keiner Stelle zeichnet das Bild den Afrikaner so wie er wirklich ist, sondern es ist eben nur als Chiffre der eigenen Utopien bzw. des Gegenteils, als Chiffre der eigenen Vorurteile zu verstehen. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts dienen alle diese Bilder nicht dazu, die Beziehungen zwischen den Afrikanern und den Deutschen zu gestalten. Es war eigentlich immer so, daß diese Bilder von einem Deutschen gemacht wurden, um anhand eines Objekts, des Afrikaners, den anderen Deutschen symbolisch zu übermitteln, was sie von der Welt halten sollten, wie sie sich selbst verhalten sollten, an welchen Werten sie sich orientieren sollten.

Sie spielen damit beispielsweise auf die Vorstellung vom „Edlen Wilden“ in der Aufklärung an?

Auf den edlen Wilden als den edlen Menschen, der zum Wohl des Gemeinwesens wirkt und in Abbildungen aussieht wie eine schwarzgefärbte griechische Statue, mit allen ästhetischen Kennzeichen der Neoklassik. Er personifiziert das „verlorene Paradies“, aber als ambivalenten Gegenpart eben auch das Kindliche, das Unerwachsene. Einerseits bewundert und vermißt der sogenannte zivilisierte Europäer dies als Inbegriff des unzerstörten und wirklichen Menschen, andererseits gibt er dem Afrikaner tierhafte Züge und meint, den Afrikaner an die als Ideal betrachtete bürgerliche Gesellschaft anpassen zu müssen.

Wie verändert sich dieses Bild vom Afrikaner im Zeitalter des Kolonialismus?

Vor allem die Aufgabe des Bildes verändert sich jetzt entscheidend: Es soll nicht mehr wie in der Aufklärung gezeigt werden, wo man hinwill, welches das „neue Jerusalem“ ist, das man im gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß erreichen will, nämlich die bürgerliche Gesellschaft. Sondern jetzt wird das Bild benutzt, um den Prozeß der Kolonisation legitimatorisch abzusichern. Jetzt wird nur noch behauptet, der Afrikaner sei tierhaft. Damit wird ideologisch gerechtfertigt, daß Afrika von Europa erobert und besetzt werden kann, die dortigen Rohstoffe angeeignet und ganz konkret auch die Arbeitskraft des Afrikaners ausgebeutet werden können. Gleichzeitig benutzt man dieses Bild im Inneren der deutschen Gesellschaft, um den „eigenen Schwarzen“, also der Arbeiterklasse, ihren Platz in der angestrebten gesellschaftlichen Ordnung deutlich zu machen.

Ihr Buch „Schwarze Teufel, edle Mohren“ war ja erst der erste Streich, denn dieser Band endet im 18. Jahrhundert. Nun arbeiten Sie schon an den Recherchen zum Folgeband über das Bild vom Afrikaner in Bewußtsein und Geschichte der Deutschen im 19. und 20. Jahrhundert. Wie steht es dabei mit der sogenannten politischen Avantgarde, der deutschen Arbeiterklasse? Inwieweit trägt auch sie den Prozeß der allgemeinen und politischen Vorurteilsbildung über Afrikaner mit?

Ein gutes Beispiel ist die deutsche Sozialdemokratie, die sich immer wieder im Laufe des letzten und auch dieses Jahrhunderts den Vorwurf des Rassismus hat gefallen lassen müssen. Ganz konkret wird das am Beispiel der sogenannten „Schwarzen Schmach“. Gemeint ist die üble Kampagne, die europaweit aufgrund der Besetzung der linksrheinischen Gebiete durch französische Kolonialtruppen, Senegalesen, im Anschluß an den Ersten Weltkrieg einsetzte. Sie wurde auch mitgetragen von Teilen der deutschen und der englischen Sozialdemokratie. In einer beispiellosen Hetzkampagne wird die angebliche Tierhaftigkeit der Afrikaner propagiert. Natürlich rüttelte die Stationierung afrikanischer Truppen am kolonialen Selbstverständnis und der kolonialen Hierarchisierung der Weltbevölkerung, an deren Spitze nun mal die Europäer stehen sollten. Das koloniale Machtgefüge wurde in Frage gestellt, weil die schwarzen Kolonialtruppen z.B. auch zu Gericht sitzen konnten über die besiegten, weißen „Herrenmenschen“.

Man befürchtete Auswirkungen auf die Herrschaftsstrukturen in den Kolonien, weil dies den militärischen Widerstand, die Befreiungsbewegungen dort erheblich stärken könnte.

Die deutsche Sozialdemokratie hat sich ja in Bezug auf Besitz von Kolonien nie negativ verhalten, einige Einzelpersonen ausgenommen.

Das ist ihnen ja auch im Reichstag wiederholt vorgehalten worden. Eine Vertreterin der USPD hat sinngemäß gesagt : „Euer Internationalismus, was die Afrikaner und die anderen nichteuropäischen Rassen angeht, ist ja nur ein Lippenbekenntnis. In Wirklichkeit stellt ihr euch doch hier genau vor den Karren, der da heißt: Rassismus zur Reinhaltung des deutschen Volkes mit dem höheren Hintergedanken, daß man eben die Kolonien beherrschen kann und daß man sich vorsehen muß, nicht von einer Kraft aus der Dritten Welt in einer Art Rückwärtsbewegung überrollt zu werden.“ Diese Angst wurde schon damals geschürt und von einigen Sozialdemokraten mitgetragen.

Interview: Sibylle Weingart