■ Normalzeit
: Die „Berliner Zeitung“ und die Stasi

Neulich kam es zu einer schönen, den Westführungsstil düpierenden Redaktionskonferenz in der Berliner Zeitung. Dort hatte ein Sportreporter entgegen einer redaktionellen Richtungsweisung die Stasi-Vergangenheit einer Sportlerin ignoriert und nicht über ihre IM-, sondern rein über ihre Sportleistung berichtet. Chefredakteur Hans Eggert kündigte ihm daraufhin prompt, was prompt von der stellvertretenden Chefredakteurin Georgia Tornow gebilligt wurde. Im Beisein von Herausgeber Erich Böhme kam dieser Fall auf der Redaktionskonferenz zur Sprache.

Starreporter Alexander Osang kritisierte die Kündigung und wies unter anderem darauf hin, daß Eggert früher mal „rechte Hand des FDJ-Chefs“ gewesen sei. Er, der es immer verstanden hatte, mit am Tisch zu sitzen, egal wo, sollte also endlich eine gewisse Toleranz aufbringen für andere, die nicht zu derartigen Anpassungsleistungen bereit oder in der Lage sind. Dieser Osangsche Gedanke paßte zur derzeitigen „Befindlichkeit“ in der Berliner Zeitung, wo von oben langsam eine „Boulevardisierung“ durchgesetzt wird, die von unten schnell „schlechte Stimmung“ erzeugt: „Es gibt zwar noch keine Abmahnungen, aber laufend bekommt man gesagt, wo es – berichts-, recherche- und meinungsmäßig – langgehen soll.“ Georgia Tornow macht dabei nicht einmal vor früheren Autoren der Berliner Zeitung halt: So bemängelte sie unlängst beispielsweise an Christa Wolf, daß diese sich in ihrem neuesten Werk nicht richtig mit dem Problemkreis „Stasi und Literatur“ auseinandersetze...

Osangs Bemerkung über Eggert stimmte obendrein: Dieser war in der CDU gewesen, hatte Lehrer studiert, war dann in die SED eingetreten und Redakteur der FDJ-Studentenzeitung Forum geworden, schließlich Abteilungsleiter im FDJ-Zentralrat, von wo aus er noch einmal als Chefredakteur kurz beim aufmüpfigen Forum für Ordnung sorgte. Vom Zentralrat wechselte er dann nach der Wende in die Berliner Zeitung. Im Sonntag und in der Weltbühne gab es sogar schon „Debatten“-Beiträge über die „Führungsfigur“ Hans Eggert. Einer der Autoren meinte: „Der war immer mit den Arschlöchern!“ Ich war auch nicht der erste, der ihn seit dieser Redaktionskonferenz in der Berliner Zeitung wegen Eggert angerufen hatte.

Sogar beim Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt war jemand diesbezüglich am Recherchieren. Zuvor hatte eine andere Recherche über die Berliner Zeitung bereits eine erste Entlassung im Gruner & Jahr-Haus am Alex nach sich gezogen: Es war dort das Gerücht („aus Hamburg!“) verbreitet worden, der Spiegel stelle gerade ein Dossier über die Stasi-Verstrickungen im Berliner Verlag zusammen. Quasi prophylaktisch entließ man daraufhin eiligst und mit „Tendenzbetriebs“- Begründung den Innenpolitik- Redakteur Peter Richter, der bereits 1991 zugegeben hatte, früher nebenbei noch in einer HVA- Auswertungsgruppe tätig gewesen zu sein (sein Name stand auf einer der veröffentlichten MfS- Gehaltslisten). Außerdem installierte man bei der Berliner Zeitung einen Computer, der alle Telefonate nach draußen speichert – angeblich sollten damit die Privatgespräche reduziert werden. Für wie blöd hält man die stasi- gestählten Ostler eigentlich in Hamburg? Wo doch in der DDR 40 Jahre lang selbst die harmlosesten privaten Macken (ein Faible für junge Spitzensportlerinnen zum Beispiel) hochpolitisch waren? Peter Richter ist jetzt übrigens freier „Innenpolitik“-Mitarbeiter beim Neuen Deutschland.

Und ich bleibe dabei: Die IM- Berichte sind das einzige Stück (220 Aktenkilometer) deutsche Nachkriegsliteratur, das wirklich von Interesse ist, selbst noch in seinen langweiligsten und sprachlich unausgegorensten Passagen (so weit man das überhaupt noch beurteilen kann. Zu viele haben ja leider schon die Bonner, Kölner und Pullacher abgegriffen). Helmut Höge

Wird fortgesetzt