: Bis zur Siegerrede
Clintons Wahlkampfzentrum: „War Room“ (Forum) ■ Von Hans-Hermann Kotte
Mitten im US-Wahlkampf 1992 gab Bill Clinton dem Rolling Stone ein seitenlanges Interview und zierte den Titel des Musikmagazins, das gerade sein während der Reagan-Ära erworbenes Pro- Yuppie-Image abzulegen versuchte. Herausgeber Jann Wenner schmolz nur so dahin. Bei MTV trat Clinton mit Whoopi Goldberg auf und sang mit ihr „Shout“. In der Talkshow von Arsenio Hall spielte der Kandidat das Saxophon bei „Heartbreak Hotel“. Der Haschraucher, Drückeberger und Seitenspringer signalisierte den Wählern einen Wechsel, der auch ein Generationswechsel sein sollte.
Clinton hatte Hollywood und die vom republikanischen Gegner so gehaßte und verspottete cultural elite auf seiner Seite. Hier hatte der Generationswechsel schon stattgefunden. Es darf also nicht verwundern, daß der fernsehgerechte „Anti-Democrat Democrat“ einem Team linksliberaler Dokumentarfilmer erlaubte, seine Kampagne zu begleiten.
Don Alan Pennebaker, einer der Pioniere des „direct cinema“ in den 60er Jahren und seine Partnerin Chris Hegedus erhielten Zutritt zum sogenannten „War Room“ in Little Rock, Arkansas. Ihr gleichnamiger Film konzentriert sich auf die Herrscher dieses Hauptquartiers, James Carville, den Hauptkoordinator der Kampagne, und George Stephanopoulos, den Verantwortlichen für Öffentlichkeitarbeit. Ein dauerhafter direkter Zugang zu Clinton war zwar nicht möglich, aber immerhin: Bei George Bush und Ross Perot waren die Produzenten des Films, die Theaterleute R.J. Cutler und Wendy Ettinger, völlig abgeblitzt.
„The War Room“ umfaßt die Zeit von den Vorwahlen (primaries) über die Nominierung Clintons in New York bis zu seiner legendären Bus-Tour und der heiseren Siegesrede in Arkansas. Es wurde eine ebenso dynamische wie komische Montage von dokumentarischen Filmbildern sowie weiteren 40 Stunden TV-Rohmaterial daraus – unterhaltsam wie ein Spielfilm und für die eitlen Washingtoner Insider zweifellos ein „home movie“, wie die New York Times notierte. Die Zuschauer dürfen bei Telefonkonferenzen über Wahlslogans und bei Mittagspausen im diner quasi mit am Tisch sitzen; sogar der Einblick in Clintons Hotelzimmer wird einmal gewährt.
Der Weg zur großen Parteitagsrede ist eine hechelnde Kamerafahrt durch die Kellerräume eines Kongreßzentrums, fast so schön wie in „Fegefeuer der Eitelkeiten“ oder bei „In the Line of Fire“. Und die Frage „Did the Governor use a condom?“ garantiert natürlich einen Lacher, auch wenn sie bei der Pressekonferenz der früheren Clinton-Freundin Gennifer Flowers nicht beantwortet wurde. James Carville, der großgewachsene agressive Glatzkopf und George Stephanopoulos der nette, kleine Schönling sind ein ideales Filmpaar. Und „The War Room“ idealisiert sie noch zusätzlich als grandiose Manipulatoren und Kommunikatoren; Dreitagebärte und umgekippte Kaffeebecher garantieren „Authentizität“. Dabeisein ist alles: Toll, wie die beiden die Presse füttern!
Der Film ohne Off-Kommentar setzt auf Backstage-Effekte, die sich aber auf Dauer abnutzten. Es gelingt nur einmal, Carville, den tobsüchtigen, knautschgesichtigen Kleinbürger im Jogginganzug bloßzustellen. Da dankt er am Ende tränenreich und auf kitschigste Weise allen Mitarbeitern: Ich, der Underdog, der erst im Alter von 33 Jahren Washington und New York sah, habe nun mit 42 Jahren den Präsidenten der Vereinigten Staaten gemacht... Ewiger amerikanischer Traum. Und die saloppe Skrupellosigkeit von Stephanopoulos wird noch am deutlichsten, wenn er Bill Clinton vor dessen Siegesrede am Funktelefon rät: „Pack' noch etwas von Hillarys Patriotismus rein.“
Ebenso wie „The War Room“ technisch und stilistisch nichts Neues bringt, verrät er auch nichts wirklich Neues über Clinton und seine politischen Ideen sowie die Taktiken und Strategien seiner Medienfachleute. Clintons Berater haben nicht nur dessen Image geformt, sondern auch diesen Dokumentarfilm. So besteht laut Mark Halperin, Reporter des TV-Networks ABC aus dem Weißen Haus, kein Zweifel, daß Clintons Mitarbeiter auch nur einen Moment nicht daran gedacht hätten, daß die Kamera auf sie gerichtet war. „Denn Stephanopoulos ist ein klassische Beispiel für absolute Selbstkontrolle, und Carville agiert viel kontrollierter, als er sich anmerken läßt“.
In einem Artikel über das erste Regierungsjahr mit dem Titel „The Making of the Sitcom President“ wird Clinton von der Village Voice als noch besserer „nationaler TV-Showmaster“ bezeichnet, als es Reagan je war. Durch die symbiotische Beziehung zwischen dem Präsidenten und den elektronischen Medien werde Wissen über die aktuelle Lage des Landes zunehmend durch Wissen über Bill Clinton ersetzt. Der Film „The War Room“ will durch Kulissenblicke aufklären, krankt aber letztlich auch an diesen Symptomen.
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